Die Pforten der Ewigkeit
gewisse Verantwortung für den Ort. Elsbeth erkannte einmal mehr, dass sie sich nicht genügend auf dieses Abenteuer vorbereitet hatte. Vielleicht würde der Winter helfen, ihre Gedanken zu sammeln – sie hatte ja seit ihrer Ankunft hier wahrlich keine ruhige Minute gehabt.
Wilbrands Hilfsarbeiter waren immer noch damit beschäftigt, die Faschinen wieder mit Erde zu bedecken. Elsbeth war froh, dass der Baumeister abgelenkt war. Sie wollte ihm so spät wie möglich mitteilen, dass sie seine Idee zurückweisen musste; es würde ihn tagelang eine melancholische Miene ziehen lassen, und der Herbsttag war viel zu strahlend und Wilbrands Eifer viel zu schön mit anzusehen, um ihn jetzt schon zu verderben. Sie würde ihm ihre Entscheidung nach dem Vespergebet mitteilen. In der letzten Zeit hatte der Klosteralltag sich endlich wieder eingestellt: abgesehen davon, dass die meisten Schwestern die Vigil und die Laudes im Halbschlaf hinter sich brachten, schien das Leben langsam in geregelte Bahnen zu kommen. Kurzentschlossen nahm Elsbeth wieder Hedwigs Hand und trottete mit ihr um den Fischteich herum auf den Steg zum Virteburher Tor zu. Sie würde die Gelegenheit nutzen und endlich, endlich eine Stunde in stiller Kontemplation in dem Teil ihrer Unterkunft verbringen, den schon ihre Vorgänger als Kapelle benutzt hatten.
Als sie den Steg betreten wollte, sah sie ein halbes Dutzend Gestalten auf der Straße nach Virteburh ausschreiten. Woher sie gekommen waren, ließ sich nicht feststellen. Auf die Entfernung erkannte Elsbeth nur, dass es sich um Mönche handelte. Ihr Herz begann zu klopfen – der graue Zisterzienserhabit war unverkennbar. Noch während sie sie beobachtete, bogen sie bei der Kreuzung ab und folgten der schmaleren Straße in die Hügel des Steygerewaltes hinein.
»Was ist?«, fragte Hedwig träumerisch.
»Nichts von Bedeutung«, sagte Elsbeth. In Wahrheit war sie voller Unruhe. Und dass sie damit recht hatte, erwies sich, als vor dem Klostertor Guda Wiltin mit allen Anzeichen der Erregung wartete und auf die beiden Schwestern zurannte, kaum dass sie aus dem Schatten des Torbaus getreten waren.
Elsbeth hatte nicht den Hauch einer Ahnung, dass Guda Wiltin die Mutter der Frau war, über die sie am meisten von allen Menschen hier nachdachte: Constantia. Sie wusste nur, dass Guda eine unglückliche Seele war, die aus der Begegnung mit Hedwig Trost schöpfte, und nachdem Hedwig auf ihre leicht geistesabwesende Weise geäußert hatte, dass sie sich davon nicht gestört fühlte, hatte Elsbeth den Dingen ihren Lauf gelassen. Üblicherweise beachtete Guda sie gar nicht; doch heute ignorierte sie Hedwig und wandte sich keuchend an Elsbeth.
»Ehrwürdige Schwester«, stieß sie hervor, »Eure Ordensbrüder in Ebra wollen Euer Vorhaben zunichte machen!«
6.
WIZINSTEN
»Ja«, sagte Rogers. »Ja, ja.«
Walter und Godefroy wechselten einen Blick. »Wir haben nichts gesagt.«
»Aber ihr wolltet es. Ihr wolltet sagen: Rogers, warum zum Henker sind wir ein paar Wochen in Papinberc rumgelaufen und haben nach einer einzelnen verdammten Klosterschwester gesucht, wenn die Klosterschwester in Wahrheit in diesem verdammten Kaff in einer verdammten Ruine lebt und versucht, ein neues Kloster zu bauen? Ihr wolltet sagen: Rogers, wenn wir die Klosterschwester und den verdammten Juden gleich verfolgt hätten, anstatt uns auf das zu verlassen, was wir belauscht haben, nämlich dass er ihr Geleit bis nach Papinberc anbot, dann hätten wir verdammt noch mal gemerkt, dass sie und ihre Begleiterin sich noch vorher an der verdammten Wegkreuzung von ihm verabschiedeten.«
»Das wollten wir nicht sagen«, beharrte Walter.
»Jedenfalls nicht mit so vielen ›verdammt‹«, sagte Godefroy.
»Aber ihr habt es gedacht.«
»Nein.«
»Na gut.«
»Wir wollten lediglich sagen: Rogers, wenn du auf uns gehört hättest, wären wir schon vor Wochen darauf gekommen, dass die Klosterschwester hier in diesem Kaff zu finden ist.«
»Ja, ja«, sagte Rogers.
»Und was tun wir jetzt?«
Die drei Männer saßen auf dem Galgenberg und beobachteten, wie die Schatten über der Baustelle und der Stadt länger wurden.
»Habt ihr gesehen, wie der Bursche sie abgeseilt hat? Mitten durch das Gebüsch den alten Steinbruch runter?«, fragte Rogers nach einer Weile mit einem Unterton der Bewunderung. »Die Frau kann nicht ganz normal sein.«
»Ich weiß nicht«, sagte Godefroy. »Mich habt ihr ja auch da runtergelassen, um nachzusehen, was es
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