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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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andere Ansiedlung war zu erkennen. Da und dort standen ein paar dünne Rauchsäulen über dem Wald – Köhlereien. Sie ließen die Szenerie noch einsamer wirken. Zugleich war der Anblick atemberaubend. Es schien, dass sie mitten in einem Meer aus Bäumen standen, dessen Wellen erstarrt waren, und dass der Wald bis zum Horizont reichte und darüber hinaus und die Welt verschluckt hatte und es keine anderen Menschen mehr gab außer den Bewohnern Wizinstens. Elsbeth drehte sich einmal um sich selbst. Sie fühlte Ehrfurcht. Die Frage, warum Wilbrand sie unbedingt hier herauf hatte schleppen müssen, wurde auf einmal überflüssig. Dann verrutschte das Bild, weil auf der Straße, die an der Swartza entlangführte, eine kleine Gruppe Menschen mit Lasttieren unterwegs war, weil sie die leisen Geräusche aus der Stadt plötzlich hören konnte und weil Kinderlachen zu ihnen heraufdrang. Sie fühlte für einen Moment tiefes Bedauern, als hätte die Vorstellung, sie seien die einzigen Menschen in einer Welt aus Bäumen, sie irgendwie Gott näher gebracht.
    Hedwig schien zu Elsbeths Erstaunen vollkommen unberührt zu sein. Sie sah sich mit höflicher Aufmerksamkeit um, aber sie sagte kein Wort. Als Elsbeth sich endlich Wilbrand zuwandte, konnte sie die Ungeduld in seiner Miene lesen. Er hatte sie nicht gedrängt, doch es war klar, dass auch er nicht das fühlte, was Elsbeth soeben gefühlt hatte. Vielleicht war er schon oft genug hier oben gewesen; oder einen Baumeister beschlich die Ehrfurcht vor Gottes Schöpfung erst, wenn sie mit möglichst vielen Bauwerken zugestellt war. Er führte sie und Hedwig über die Hügelkuppe, an dem halb ins Gras gesunkenen, moosüberwucherten Podest vorbei, auf dem einst der Galgen gestanden hatte, und ein paar Dutzend Schritte auf der stadtabgewandten Seite des Galgenbergs hinab, bis dichtes Buschwerk und Dornenranken das Weiterkommen verhinderten. Durch die Zweige sah sie das Wasser des tiefer gelegenen Sees, das das Blau des Himmels widerspiegelte.
    Als Hedwig ein paar Schritte näher herantrat, stellte Wilbrand sich ihr in den Weg.
    »Nicht weiter«, sagte er. »Ab hier wird es plötzlich steil.«
    Elsbeth erkannte, dass der erste Anblick täuschte; was sie für Gebüsch gehalten hatte, das dicht und struppig direkt aus dem Boden wuchs, war in Wahrheit das Blätterdach von Buschwerk, kleinen Bäumen und Schlingpflanzen, die sich ein ganzes Stück weiter unten an einen fast senkrechten Abfall des Galgenbergs klammerten. An einer Stelle war eine Lücke im Blattwerk zu sehen, als hätte sich jemand hineingewühlt.
    »Wagt Ihr es?«, fragte Wilbrand.
    »Wage ich was?«
    Er deutete auf einen Strick, der halb verborgen unter dem Gestrüpp lag.
    »Soll ich daran hinunterklettern!?«
    »Ich werde Euch abseilen.«
    »Warum sollte ich wohl so närrisch sein, das tun zu wollen?«
    Wilbrand lächelte und zuckte mit den Schultern.
    Einige Minuten später fand sich Elsbeth, mit dem Strick in einer komplizierten Schleife um Hüfte und Oberkörper geschlungen und sich mit beiden Händen krampfhaft daran festhaltend, auf dem Weg nach unten. Das Buschwerk gab ihr einige Sicherheit; tatsächlich sah es eher aus, als müsse sie sich hindurchwühlen, und sollte sie fallen, konnte sie sich bestimmt an irgendeinem Ast festhalten. Wilbrand handhabte das Seil mit großer Langsamkeit und ließ sie durch die Schneise, die er vor ihr gebrochen hatte, hinab. Und dann sah sie es plötzlich, und sie begann zu lachen und wusste, wie Wilbrand auf den Gedanken gekommen war, sofort mit der Kirche zu beginnen, und weshalb er sich mehr Sorgen um die Steinmetzen gemacht hatte als um die Steine.
    Es gab einen Grund dafür, warum der Galgenberg auf der Rückseite so steil abfiel. Vermutlich hätte sie nur zu fragen brauchen, und irgendjemand in der Stadt hätte es ihr gesagt.
    Die Westflanke des Hügels war ein alter, aufgelassener Steinbruch.
    5.
WIZINSTEN
     

     
    Obwohl die Entdeckung des alten Steinbruchs ein Glücksfall war, hatte Elsbeth sich, bis sie wieder zur Baustelle zurückgekehrt waren, entschieden, Wilbrands Vorschlag nicht zu folgen. Sie hätte ihre Ablehnung nicht begründen können, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass es zu schnell ging. Tief in ihrem Herzen stammte ihre Weigerung wohl eher daher, dass es mit dem Bauanfang des Kreuzgangs tatsächlich keine Rückkehr nach Sankt Maria und Theodor mehr gab. Ein hölzernes Provisorium konnte man wieder verlassen. Mit einem Bau aus Stein hingegen übernahm man eine

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