Die Pforten der Ewigkeit
erinnern, die damals ausgebrochen ist. Die Steinbrecher ham ’nen großen Block aus dem Hang gemeißelt, und dann … auf einmal spritzte Wasser rundrum um den Block hoch, es is’ gradezu rausgesprüht aus dem Spalt zwischen dem Stein und dem Berg. Die Arbeiter ham versucht, den Block zu sichern, ham andere, bereits rausgehauene Steine vor ihn gerollt … aber das hörte nich’ auf mit dem Spritzen, es wurde immer mehr, es schäumte und spritzte und sprudelte heraus … und dann, mit ’nem ungeheuren Krach …«, Marquards Augen blickten in die Vergangenheit, und seine Finger zuckten, als sei er einer von den Steinbrechern damals, über die plötzlich die Katastrophe hereinbrach, »brach der Block aus dem Hang und polterte runter auf den Grund des Steinbruchs, und das Wasser war nur noch ’n armdicker Strahl, der langsam schwächer wurde und sich zu ’nem Bächlein verwandelte, das über die Kanten und Stufen des Steinbruchs nach unten sprang, es sah auf einmal ganz harmlos aus, aber …«
»… aber niemand konnte das Bächlein zum Versiegen bringen«, sagte Rogers.
Marquard schüttelte den Kopf. »Es dauerte mehrere Monate, in denen alles versucht wurde, das Wasser aufzuhalten. Dabei stellte man fest, dass der gesamte Hügel in sei’m Herzen mit Löchern und Spalten durchzogen is’ und dass es bis dahin nur der Gnade Gottes und des heiligen Johannes des Täufers zu verdanken gewesen war, dass kein Felsrutsch geschah – so wie vor zwei Tagen. Deshalb hat man den Steinbruch schließlich auch aufgegeben.«
»Warum hast du nichts davon erzählt, zum Henker noch mal?«, fragte Godefroy, dessen Laune während Marquards Beichte sichtlich gesunken war.
»Weil ihr sonst die Arbeiten eingestellt hättet«, seufzte Marquard. »Dann wär ich wieder nur ’n alter Nichtsnutz gewesen.«
Rogers räusperte sich. Elsbeth sah ihn an und war überrascht, wie viel Zorn auf seinem Gesicht plötzlich zu sehen war. »Du hast unser Leben aus purer Selbstsucht aufs Spiel gesetzt«, sagte er heiser. »Zwei Tage lang … zwei Tage lang dachte ich, Godefroy wäre tot, nur weil du Angst hattest, nicht genügend beachtet zu werden!«
»Du verstehst das nich’ …«, flehte Marquard.
Rogers richtete sich auf. »Diese Stadt hat ein dunkles Herz«, sagte er. »Gottes Licht scheint überall hin, aber hier hat sich etwas davorgeschoben und wirft einen kalten Schatten.«
»Bitte …«, stöhnte Marquard.
Rogers wandte sich ab und stapfte grußlos hinaus. Sie sahen ihm nach. Marquard sank in sich zusammen, ein Häufchen Elend, das selbst Godefroy, den Hauptleidtragenden an der ganzen Angelegenheit, dauerte. Er klopfte dem Alten auf die Schulter und sagte: »Ich nehm’s dir nicht krumm, Marquard.« Marquards Augen begannen feucht zu glänzen, und eine Träne lief ihm das faltige Gesicht hinunter. Walter sah von ihm zu Godefroy, dann zu Elsbeth, dann zur Tür. Er seufzte. In der Zelle machte sich eine peinliche Stille breit, die nur von Marquards Schnüffeln durchbrochen wurde.
»Warum ist das Wasser nicht über den Damm getreten?«, fragte Elsbeth schließlich.
Marquard holte tief Luft und ließ sie dann wieder entweichen. »Wie ich gesagt hab – weil der ganze Hügel so löchrig is’ wie ’n alter Schuh. Auf Höhe des heutigen Pegelstands sind genügend Spalten, durch die es wieder abfließen kann.«
»Das heißt«, sagte Elsbeth nachdenklich, »wenn der Damm nicht wäre …«
»… würd sich ’n steter Wasserstrom die Hügelflanke runter und in die Stadt ergießen«, vollendete Marquard. »So fließt das meiste davon unterirdisch ab und kommt an anderen Stellen wieder als Quelle zum Vorschein. Die Fischteiche zum Beispiel – das Wasser, das von der Swartza dorthin abgeleitet wird, würde nie reichen, um die Teiche frisch zu halten. Es muss mehrere Quellen geben, die die Teiche von unten speisen.«
»Aber … das Wasser«, sagte Elsbeth, die der vorige Gedanke nicht losließ. »Wenn der Damm bräche … mein Gott …« Sie sah aus dem Augenwinkel, wie Adelheid sich für die Blasphemie bekreuzigte, aber sie achtete nicht darauf.
»Der untere Teil der Stadt würd’ überschwemmt.« Marquard zuckte mit den Schultern. »Es gäb sicherlich welche, die sagen würden, um das Gesindel dort wär’s nich’ schade.«
»Ich meine nicht die Stadt, ich meine das Kloster. Es wird genau auf dem Weg erbaut, den das Wasser nehmen muss. Und mit all dem Treibgut, das im See schwimmt …«
Marquards Brauen zogen sich
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