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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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zusammen. »… wäre der erste Schwall ’ne Lawine aus Holzstämmen, Felsen, Schlamm und Kies. Und die würde erst an der Stadtmauer zum Halten kommen. Und alles, was auf seinem Weg liegt … Aber macht Euch keine Sorgen, der Damm hat so lange gehalten, der hält noch ’n paar hundert Jahre.«
    Elsbeth schnaubte. »Ich wundere mich, dass niemand im Stadtrat uns aufgehalten hat, die Arbeiten wieder aufzunehmen – stattdessen hat man sogar noch überlegt, ob man nicht unseren Brüdern in Ebra das Nutzungsrecht geben sollte. Meine Schwestern und ich, uns liegt das Wohl der Stadt am Herzen, schon allein deswegen, weil unser Kloster das Erste wäre, was bei einem Dammbruch zerstört würde. Was würde es dem Baumeister von Ebra bedeuten? Doch nur ein noch leichteres Abbauen des Steins, wenn der Wasserspiegel des Sees sänke!«
    Marquard zuckte unangenehm berührt mit den Schultern. Elsbeth fand, dass der Alte diese Geste in ihrem Gespräch schon viel zu oft bemüht hatte.
    »Was ist mit dem Stadtrat los?«, zischte sie. »Was für Männer habt ihr dazu bestimmt, die Geschicke eurer Stadt zu leiten?«
    »Ach, Scheiße!«, brach es aus Marquard heraus. »Könnt Ihr’s Euch nich’ denken? Den Stadtrat hat Meffridus Chastelose besetzt!«
    »Der Notar? Aber der ist doch ein hilfsbereiter Mann …«
    Marquard lachte unlustig. Dann schüttelte er den Kopf und stand mühsam auf. »Rogers hat recht«, sagte er. »Hier schlägt ein dunkles Herz. Mehr kann ich nich’ sagen.« Er schleppte sich hinaus, ein Mann, der versucht hatte, den Schatten in seinem Leben zu entrinnen, und nun noch tiefer in die Dunkelheit gestolpert war als zuvor.
    Elsbeth fand Rogers auf der Rückseite des Klosterbaus. Er stand unter den Bäumen, die hier ebenso ruiniert waren wie vor dem Eingang des Gebäudes, und sah zum Galgenberg, der von der Stadtseite aus gesehen ein unschuldiger grüner Buckel war. Das zerstörte Gestell des römischen Krans ragte auf seiner Kuppe in die Höhe und wirkte, als sei der Galgen wieder errichtet worden. Als Elsbeth neben ihn trat, wandte er sich ab und musterte sie stumm.
    »Warum hast du so grob auf Marquards Beichte reagiert? Er hat wenigstens zugegeben, was ihn angetrieben hat.«
    Er schnaubte unwillig. »Wenn er es ein paar Tage vorher zugegeben hätte …«
    »Was dann? Hättet ihr dann gesagt: Es ist zu gefährlich, wir können nicht arbeiten in diesem Steinbruch, lasst uns zu einer anderen Baustelle weiterziehen oder den Winter als Bettler verbringen?«
    Rogers blieb stumm. Elsbeth fühlte seine Musterung und wusste nicht, ob es ihr angenehm oder unangenehm war. Ihr wurde bewusst, dass sie hier, auf der stadtabgewandten Seite des ehemaligen Benediktinerklosters, vollkommen für sich allein waren. Eine Stimme in ihr sagte, dass sie auf der Stelle zurück ins Haus gehen sollte, doch sie sagte es mit einer Art Resignation, als sei ihr selbst schon klar, dass ihre Besitzerin nicht auf sie hören würde. Dass Rogers nicht antworten würde, hatte sie erwartet. Ihre Worte waren nicht mehr als Geplänkel gewesen. Er würde sich ihr nicht öffnen, wenn sie nicht den ersten Schritt tat. Und er würde sich auch nicht öffnen, wenn sie nicht hier und jetzt den Gefühlsaufruhr ausnutzte, in dem er sich befand. Dabei war es ihr bereits klar, was sein Geheimnis war. Dennoch wollte sie es von ihm hören. Und dann …?
    Würde sie weitersehen. Würde sie abwarten, wie stark die Erinnerung an Colnaburg in ihm war.
    Er musste sie längst erkannt haben, oder? Aber er schwieg, weil er sich und seine Kameraden nicht verraten wollte. Oder? Oder?
    Oder hatte sie sich so sehr verändert in den fünf Jahren, dass er sie nicht mehr wiedererkannte?
    Sie wandte sich ab, als sie an seinem Gesicht sah, dass er beinahe ihre Gedanken auf ihrer Stirn hatte lesen können. Auch er betrachtete wieder den Galgenberg. Verstohlen musterte sie ihn von der Seite. Was hatte sie damals von ihm gesehen unter dem Helm? Zwei Lippen, den Schwung seines Kinns … ihre Erinnerung war eher ein Geschmack als ein Bild, eher das Kribbeln in ihrem Schoß als der Anblick vor ihren Augen. Was konnte er von ihr gesehen haben in der Hektik? Ein Gesicht mit weit aufgerissenen Augen unter dem Schleier? Sie war fast noch ein Kind gewesen. Wiedererkennen? Hätte sie ihn denn wiedererkannt, wenn sie nicht hier, unter diesen besonderen Umständen, erneut aufeinandergetroffen wären?
    Und die resignierte Stimme in ihrem Inneren murmelte: Du weißt ja selbst nicht, ob

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