Die Pforten der Ewigkeit
sprichst du es nicht aus?«
»Woher hast du es gewusst?«, wiederholte sie. »Du warst doch damals erst kurz in der Stadt.«
In der Dunkelheit konnte sie sein Gesicht nicht sehen, aber sie spürte, wie das übliche Lächeln es verzog. »Jeder hätte es gewusst, der genauer hingesehen hätte«, sagte er. »Aber diese Stadt war ja schon immer groß im Wegsehen. Ich habe dich beobachtet und was danach geschah. Ich war fasziniert.«
»Fasziniert!?«
»Ich habe einer Meisterin beim Werk zugesehen«, sagte er.
Sie starrte in die Finsternis der Schlafkammer. In diesem Moment hätte sie ihn, wäre nur irgendetwas Waffenähnliches in ihrer Hand gewesen, umgebracht. Ihr Bauch krampfte sich zusammen. Er sprach weiter. Er tat es nicht, um sie zu demütigen oder aus sonst irgendeinem seiner manipulativen Pläne heraus, sondern aus ehrlicher Hochachtung. Und sie hatte sich gefragt, was sein Interesse an ihr ausgelöst hatte, neben ihrer Schönheit! Dabei musste er sie unter Beobachtung gehabt haben, seit er herausgefunden hatte, was sie getan hatte, überrascht und erfreut darüber, dass es hier eine verwandte Seele gab.
Sie hasste ihn, weil sie gedacht hatte, er hätte sie zu sich heruntergezogen.
Nun hasste sie ihn noch viel mehr, weil seine Worte ihr endgültig klarmachten, dass sie schon immer dort gewesen war, wo er sich aufhielt.
»Mir ist nicht einmal ganz klar geworden, wie du es im Einzelnen angestellt hast. Wenn ich du gewesen wäre, hätte ich hier und da ein paar scheinbar naive Fragen gestellt. Warum wohl Gerlach und Cristina Klopfer keine weiteren Kinder gezeugt haben? Ob Cristina wohl unfruchtbar ist … aber nein, sie hat ja vier Kinder auf die Welt gebracht! Dann Gerlach … aber halt, für ihn gilt das Gleiche … hmmm … Ich hätte diese Fragen nicht meinen Eltern gestellt, oder dem Pfarrer, oder jemandem vom Stadtrat – nein, ich hätte sie meinen Freundinnen gestellt; den Mädchen, die es anderen Mädchen weitererzählen, bis es an die Ohren der Mägde dringt, und von da an die Ohren der ehrbaren Frauen … in einem wochenlangen, kaum erkennbaren Prozess, der auf jeden Fall verwischt, wo das Gerede herstammt … Weißt du denn nicht«, er machte eine Kleinmädchenstimme nach, »weißt du denn nicht, Constantia, wo die Kinder herkommen, du liebe Güte? Na, wenn keine Kinder kommen, dann heißt das, Gerlach und Cristina haben nicht … na, dämmert’s dir? Wahrscheinlich kann Gerlach nicht mehr, nach vier toten Kindern und so.« Und mit einer Stimme, die sich fast nach Constantias wirklicher Stimme anhörte: »Ja, aber Cristina … der Pfarrer in der Kirche predigt doch immer, dass nur die Ehe die Weiber davor schützt, der Lust zu erliegen …«
»Hör auf«, sagte Constantia voller Grauen, aber Meffridus war in Fahrt. Aus ihm sprach handwerkliche Begeisterung.
»Und so fangen die kleinen, überhitzten Mädchenhirne an zu denken. Also, wenn Gerlach Klopfer keinen mehr hochbringt und es Cristina Klopferin aber dennoch zwischen den Beinen juckt … ist der Geselle nicht schon verdächtig lange im Haus der Klopfers? Warum geht der Bursche nicht auf die Walz? Was hält ihn dort? Aah … Und es ist egal, ob Lodewig einfach seine Zeit bei Meister Gerlach noch nicht abgedient hat oder ob er sich hier ohnehin nur auf der Durchreise befindet, weil er tatsächlich auf Walz ist … Der Same ist gesät, und das Wunderbare daran ist, dass du, wenn man die Spur tatsächlich bis zu dir zurückverfolgen könnte, in Wirklichkeit niemals auch nur eine Andeutung in diese Richtung gemacht hast …«
»Hör auf!«
»Dann kommen die anderen Zunftmeister und reden ernsthaft mit Gerlach Klopfer, und er verliert die Nerven und brüllt herum; die Weiber reden mit Cristina, und sie bricht in Tränen aus … Natürlich gibt es keine Geständnisse, du lieber Himmel, man will ja nicht mit Ruten gestrichen und aus der Stadt geworfen werden, und außerdem stimmt das Gerücht ja nicht! Aber das Gerücht ist in der Welt, und anders als kleine Kinder haben Gerüchte eine erstaunliche Überlebensfähigkeit, und sie wachsen und wachsen und treiben neue Blüten … Habt ihr schon gehört, die Klopferin soll ihren Mann lendenlahm gemacht haben, weil sie den Gesellen und seinen jungen Schwanz wollte … An der Wegkreuzung, ich schwör’s euch, ein Fischer hat sie gesehen, als er nachts auf Zander ging … sie hat Weidenblüten gesammelt und Narzissen und hat einen Ameisenhaufen aufgegraben – ihr wisst doch, wenn
Weitere Kostenlose Bücher