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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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der Tochter ihrer Nachbarn aus. Wenn es galt, etwas ins Klopfer’sche Haus zu bringen oder von dort zu holen, übernahm Constantia den Auftrag mit Begeisterung. Gerlach ließ sie nach Herzenslust auf den Schuhen seiner Kunden herumhämmern oder spielte ihr vor, wie jemand ging, dessen Sohlen so und so abgelatscht waren; der Kommentar ihres Vaters, wenn sie diesem zur Hand gehen wollte, lautete dagegen stets: »Das kannst du nicht.« Hätte Constantia einen Onkel und eine Tante besessen, sie hätten nicht liebevoller sein können als Gerlach Klopfer und Cristina Klopferin.
    Constantia wanderte durch das kühle Innere des Hauses, ihre bloßen Füße genossen die Glätte des alten Holzbodens. Dielen knackten, Bohlen knarrten. Ansonsten lag es in Stille. Die kleine Werkstatt gleich neben dem Eingang war leergeräumt, aber das war nichts Besonderes in den heißen Sommerwochen. Auch Johannes Wilt hatte eine Ecke des Gemüsegartens hinter ihrem Haus mit ein paar Bahnen alter Leintücher abgedeckt und zu seinem Arbeitsplatz erklärt. Dass keine Arbeitsgeräusche zu hören waren, befremdete Constantia, bis ihr einfiel, dass sie Gerlach und Cristina heute Morgen mit dem Handkarren hatte losziehen sehen, auf dem mehrere Paare reparierter Schuhe gelegen hatten. Nun, es spielte keine Rolle. Ihr Vater hatte sie mit einem Dutzend handtellergroßer Lederflecken losgeschickt, für die er keine Verwendung mehr hatte, und wenn sie sie einfach auf die Werkbank legte, die Gerlach mit Hilfe des Gesellen Lodewig in den Garten geschafft hatte, würde der Nachbar wissen, von wem sie stammten.
    Als sie an einer der Kammern im Erdgeschoss vorbeikam, vernahm sie ein Keuchen. Es wäre ihr nicht aufgefallen, wenn die Stille im Haus einen nicht dazu gebracht hätte, die Ohren unwillkürlich zu spitzen. Sie stutzte und blickte über die Schulter zurück. Die Kammer hatte eine Tür, und diese stand eine Handbreit offen. Sie biss sich auf die Lippen, dann schlich sie zurück und spähte durch den Spalt.
    Die Kammer diente zugleich als Lager und als Schlafstätte für Lodewig. Der Geselle hatte sich auf seinem Lager ausgestreckt. Zuerst dachte Constantia, er schliefe, weil seine Augen geschlossen waren, doch dann sah sie die Bewegung. Lodewig hatte seine Tunika hoch- und die Bruche beiseitegezogen, die den Ausschnitt zwischen seinen Beinlingen bedeckte. Seine Faust bewegte sich langsam davor auf und ab. Noch während Constantia starrte, löste er sie und spuckte herzhaft hinein. Constantia erhaschte einen Blick auf seine prall aufgerichtete Männlichkeit, glänzend vor Spucke und rotgerieben, bevor er die Faust wieder darum schloss.
    Verlegenheit erfasste sie. Bis vor wenigen Jahren hatte sie noch in der Schlafkammer ihrer Eltern genächtigt, und zuweilen, wenn Guda und Johannes zueinander gefunden hatten, hatte sie nur so getan, als schliefe sie, und durch halbgeschlossene Lider beobachtet, was geschah. Daher war ihr klar, was sich auf dem Bett Lodewigs abspielte, wenngleich sie bisher noch nicht gewusst hatte, dass ein Mann das auch alleine mit sich tun konnte. Bislang hatte sie es nur ihre Mutter bei ihrem Vater tun sehen, an den regelmäßig wiederkehrenden Tagen, an denen Guda gereizt und blass war. Die Nachmittage in den Heuschobern mit den neugierig kichernden, neugierig experimentierenden Freundinnen waren noch weit.
    Constantia ahnte, dass es für Lodewig peinlich wäre, wenn er sich von ihr ertappt fühlte. Sie huschte zurück zur Eingangstür, öffnete sie lautstark von innen und rief dann, als sei sie eben hereingekommen: »Gerlach? Cristina? Ich bringe etwas von meinem Vater. Seid ihr da?«
    Ein paar Augenblicke später schoss Lodewig aus seiner Kammer heraus, mit gerötetem Gesicht und zerknitterter Tunika. Er blinzelte sie verwirrt an.
    An dieser Stelle nahm Constantias Traum die zähe, verwirrende Qualität aller Träume an, die sich mit Dingen befassen, die bereits hinter uns liegen und von denen wir im Rückblick so viel mehr verstehen als zu der Zeit, an denen sie uns zugestoßen waren. Sie sah sich selbst mit Lodewigs Augen, wie ihre Blicke nach unten wanderten und ihr Mund sich zu einem »O« öffnete, und sie war zugleich im Kopf ihres zwölfjährigen Selbst, das im Halbdämmer des engen Hausflurs auf Lodewigs Schritt starrte. Der Geselle hatte die Tunika hastig nach unten gezogen und war vom Bett gesprungen, als er ihre Stimme gehört hatte. Er war erschrocken und in Eile gewesen. Die Tunika hatte sich verfangen, und da er die

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