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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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nasses Stück groben Wollstoffs wurde ihm ins Gesicht geworfen.
    »Ich bin der Totenengel, Freundchen. Und jetzt zieh deine Sachen aus, sonst schneide ich sie dir vom Leib.«
    14.
GALGENBERG
     

     
    In den wenigen Augenblicken, die zwischen der Gefangennahme der Gräber und der Rückkehr Bruder Gabriels vergangen waren, hatte Azrael mehrere mögliche Vorgehensweisen geplant und verworfen. Dies war immer seine Spezialität gewesen: Situationen zu erfassen und innerhalb von Herzschlägen die passenden Szenarien in seinem Kopf durchzuspielen. Selbst Bruder Gabriel hatte die daraus resultierenden Vorschläge niemals in Frage gestellt.
    Insofern war der Schock damals für ihn, als sie in den Hinterhalt der Ketzer geraten waren, größer gewesen als die Angst vor dem Tod. Andererseits war es wiederum nur seiner blitzschnellen Reaktion zu verdanken gewesen, dass die anderen entkommen waren. Ihn hatten die Ketzer jedoch geschnappt. Während sie ihn mit Faustschlägen und Tritten traktiert hatten, hatte ein Teil seines Verstands noch einmal die vergangenen Entscheidungen durchgespielt, um festzustellen, wo er seinen Denkfehler begangen hatte. Aber es war nicht sein Fehler gewesen, sondern der Bruder Jophiels, der seiner Pflicht, das kleine Dorf auszukundschaften, offenbar nur schlampig nachgekommen war. Jophiel hätte erkennen müssen, dass die angeblichen Aussätzigen in der kleinen Kapelle in Wahrheit bewaffnete Ketzersoldaten gewesen waren. Insofern hatte Azrael zu allem anderen auch noch Empörung empfunden, dass nun ausgerechnet er den Ketzern in die Hände gefallen war und nicht der unachtsame Jophiel. Gabriel jedenfalls, so viel war sicher gewesen, würde sich den Trick mit den Aussätzigen gemerkt haben.
    Die Ketzersoldaten hatten aber auch einen Fehler gemacht. Statt ihn einfach totzuschlagen, hatten sie eine lächerliche Gerichtssitzung über ihn gehalten. Der alte Weißbart, den sie offensichtlich beschützt hatten, hatte darauf bestanden. Dann hatten sie ihm einen Strick um den Hals gelegt und ihn an einem Baum außerhalb des Dorfs aufgeknüpft. Der alte Mann hatte ihn nur als Gefangenen mitführen wollen, aber die Soldaten hatten sich wenigstens dahingehend durchgesetzt, dass Azrael zu beseitigen war. Der Alte hatte ihn auf den Knien um Verzeihung gebeten. Azrael hatte ihm mit einem blitzschnellen Kopfstoß das Nasenbein zerschmettert. So war doch noch etwas Gutes erreicht gewesen mit seinem Tod.
    Azraels Genick war nicht gebrochen, als sie ihn hochgezogen hatten. Außerdem hatten sie die Schlinge nicht stramm genug gezogen, so dass sie sich nicht um seine Kehle zusammenschnürte, sondern unter seinem Kiefer. Er hatte erkannt, dass er noch ein winziges bisschen Luft bekam. Die Pein war dennoch außerordentlich gewesen. Er hatte gestrampelt und gegurgelt und überzeugend einen Mann gespielt, der langsam am Strick krepierte, während sich der Strick in seine Haut eingebrannt hatte und seine Lunge nach mehr Luft schrie. Er hatte seinen Darm und seine Blase entleert. Er hatte keine Ejakulation vornehmen können, aber die Soldaten hatten zum Glück nicht so genau nachgesehen oder keine Ahnung gehabt, welche unwürdigen Vorgänge der Tod des Erhängens mit sich brachte. Mit übermenschlicher Beherrschung hatte er sich darauf stillgehalten und so getan, als wäre er tot. Die Ketzer waren abgezogen, der alte Knacker mit Blut und Rotz in seinem weißen Bart und auf dem dunkelblauen Gewand.
    Dann war er gehangen. Es war die schlimmste Zeit seines Lebens gewesen. Die Dunkelheit war von allen Seiten her auf ihn eingedrungen, und er hatte nur eines gewusst: Wenn er in Panik verfiel, dann war er geliefert, dann würde er sich wirklich zu Tode strampeln. Seinem Gefühl nach waren Tage vergangen. Schließlich hatte ihn jemand von unten gestützt, der Strick, mit dem seine Hände hinter dem Rücken gefesselt waren, war durchgeschnitten worden, und eine Stimme hatte gesagt: »Etwas musst du schon selber tun. Zieh dir die Schlinge über den Kopf, du Trottel!«
    Sein Retter hatte ihn daraufhin auf den Boden gesetzt, ihm Wasser gegeben – der Schmerz in der Kehle beim ersten Schluck! – und ihn so weit wieder zurückgebracht, dass er seine Umgebung wieder hatte wahrnehmen können. Sein Erstaunen hätte nicht größer sein können, als er seinen Retter erkannt hatte.
    »Michael«, hatte er geflüstert.
    Bruder Michael hatte genickt. »Ich habe Gabriel gesagt, ich würde noch mal zurückreiten und dich wenigstens vom Strick

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