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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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ihrem inneren Auge sah sie Petrissa Zimmermann lautlos zusammensacken, gefällt vom schlimmsten Schmerz, den eine Mutter fühlen kann. Von der Seite näherte sich Ella Kalp, eine junge Mutter aus der Nachbarschaft, die sich dadurch auszeichnete, dass sie eine fröhliche Anhänglichkeit an alles und jeden besaß und große runde Kuhaugen hatte, die sich kein Mensch jemals zornig vorstellen konnte.
    »Durch Gottes Gnade und durch die Kraft meines neuen Sohnes …«, begann Guda und streckte die Hand nach dem Bündel aus, das Ella in den Armen trug.
    »… undurchdiekraftseinaEia…!«, lallte der Witzbold unter den Gästen.
    »… möge eure Ehe ebenso mit Kindern gesegnet sein!«, vollendete Guda.
    Sie reichte Constantia Ellas kleines Kind über den Tisch. Ella lächelte Constantia an.
    Ich will das nicht , dachte Constantia panisch. Ich will das nicht …!
    Zum dritten Mal fühlte sie einen Stoß ihres Ehemannes. Er war so grob, dass sie zusammenzuckte.
    Sie wollte das Kind nicht nehmen. Sie wusste, was sie sehen würde. Sie begann zu zittern.
    Ella nahm Guda das Kind kurzerhand ab und drückte es Constantia in die Arme. Ein Reflex ließ sie zugreifen. Mit dem Gefühl der Unausweichlichkeit senkte sie den Blick. Ella teilte mit flinken Fingern die Tücher auseinander und legte das Gesicht des Säuglings frei. Constantia stierte es an.
    Die Haut war blau. Die Augen … fehlten. Der Mund stand offen. Braune Flecken in der Farbe des Schmutzstreifens auf dem Tisch besudelten das Gesicht – trockenes Blut. Wo der Schädel hätte sein sollen, klaffte ein Loch. Ella sah von ihrem Kind zu Constantia hoch und lächelte. »Is’ sie nich’n Engelchen?«, gurrte sie. »Ich wünsch dir genau den gleichen Engel, Constantia.«
    Constantia schwankte. Sie brachte keinen Ton hervor. Ihre Lippen waren fühllos, ihr Herz pochte so hart, dass sie meinte, ihr Hochzeitskleid müsse erbeben.
    Das ist nicht dein Kind , wollte sie sagen. Das ist Petrissas und Volmars Kind. Die Tiere im Wald sind über es hergefallen, und Meffridus weiß es, weil er es gefunden hat, und deshalb hat er sich der Bitte der beiden verschlossen, noch einmal den Wald durchsuchen zu lassen, und stattdessen dafür gesorgt, dass mir das Kind in die Arme gedrückt wird, weil ich sein wahres Gesicht gesehen habe … und weil ich nicht gebeichtet habe, was ich drei Menschen angetan habe  …
    Rudeger griff zu, als sie das Kind fallen ließ. Die Umstehenden merkten nichts. Rudeger reichte das Kind seiner Mutter zurück. Ein paar von den älteren Frauen wischten sich verstohlen über die Augen, weil sie dachten, Rudegers Geste wäre ein Beweis dafür, dass er sich ebenso auf das erste Kind freute wie seine junge Frau. Das Kind begann zu glucksen und zu krähen und streckte einen rosigen, dicken Arm aus den Tüchern, mit dem es umherwedelte. Es konnte kein gesünderes Kind geben. Es konnte keine glücklichere Mutter geben als Ella, die nun die feisten Backen und die goldenen Locken auf dem Köpfchen ihrer Tochter herzte und küsste.
    Constantia trank aus dem Becher, den Rudeger ihr vor den Mund hielt, ohne ihn anzusehen. Ihre Zähne klapperten gegen den Becherrand. Der Wein rollte mit einem Geschmack wie frisches Blut ihre Kehle hinunter.
    Der Musikant begann wieder zu spielen. »Schiarazula!« , rief er. »Alles im Kreis! Wer den Tanz nicht kennt, ist ein Bauer!« Seine Drehleiter jaulte. »Ich bin der Herrscher aller, der Obrigkeit zum Hohne, ich bin der bleiche Sensenmann und trage eine Krone …!«
    Constantia ließ sich auf ihren Platz zurücksinken und sah den Tänzern zu, die sich lachend im Kreis aufstellten und mit dem komplizierten Schreittanz der Schiarazula begannen, Schritt nach links, Schritt nach links, Kick, Schritt nach rechts. In ihrem Herzen fühlte sie eine vage Erleichterung, dass von der Braut nicht erwartet wurde, am Gaudium zu ihrer Hochzeit teilzunehmen. Sie hätte nicht einmal dann mittanzen können, wenn man sie geschlagen hätte. Sie sah Rudeger, der mit den anderen herumstolperte, während die Musik schneller und schneller wurde und der Wettstreit begann, der die Schiarazula in Wahrheit war, nämlich eine Auseinandersetzung zwischen Musiker und Tänzern, wer zuerst erschöpft zu Boden sinken würde. Immer wieder sah sie, wie sich das zerstörte Gesicht der Vision, die sie mit dem Kind auf dem Arm gehabt hatte, vor die geröteten Wangen der Hochzeitsgäste schob und das Wirbeln in einen Totentanz verwandelte, und die Worte des

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