Die Pforten Des Hades
Fluren brannten nach wie vor einige Lampen, in den Ecken lauerten vereinzelt letzte Schatten, doch der größte Teil des Hauses war von einem weichen blauen Licht erfüllt. Wir kamen an einem langen, nach Osten liegenden Fenster vorbei; die Sonne war noch nicht hinter dem Vesuv aufgegangen, tauchte die Kuppe des Berges jedoch in einen blaßgoldenen Glanz. Es war die erste Stunde des Tages, zu der die meisten Römer schon auf den Beinen waren, während die Bewohner des Golfs einem entspannteren Tagesrhythmus zu frönen schienen.
Wir fanden die Bibliothek unbewacht und leer vor. Ich öffnete die Laden, um soviel Licht wie möglich hereinzulassen. Eco trat rechts neben den Tisch und betrachtete die vertrockneten Blutreste an der Hercules-Statue, um bestätigt zu finden, was ich ihm erzählt hatte. Er schauderte, als die Kälte des Morgens vom kiesbedeckten Hof durch die offenen Fenster kroch. Er nahm den Chlamys, den Crassus über die andere Statue geworfen hatte - einen Zentaur, wie sich herausstellte -, und hängte ihn sich über die Schultern.
»An deiner Stelle würde ich mir diesen speziellen Umhang lieber nicht ausleihen, Eco. Ich bin nicht sicher, wie ein Mann wie Crassus darauf reagieren würde, wenn Menschen unseres Schlages seine persönlichen Sachen benutzen.«
Eco zuckte nur die Schultern und ging dann langsam durch den Raum, um die Vielzahl der Schriftrollen zu betrachten. Die meisten waren ordentlich in langen Stoff- oder Lederhüllen zusammengerollt und mit einem kleinen Anhänger mit einer Signatur versehen. Offenbar hatte man die eher literarischen Werke zur Erbauung und Bildung - philosophische Abhandlungen, griechische Hirtenromane, Dramen und Chroniken - mit roten oder grünen Anhängern gekennzeichnet und einigermaßen willkürlich katalogisiert. Sie lagen übereinandergestapelt in hohen schmalen Regalen. Dokumente über geschäftliche Transaktionen waren sorgfältiger in einzelne Fächer geordnet und an den blauen oder gelben Anhängern erkennbar. Alles in allem lagerten Hunderte von Rollen in Regalen, die zwei Wände des großen Raumes von der Decke bis zum Boden bedeckten.
Eco pfiff leise vor sich hin. »Ja, recht beeindruckend«, stimmte ich ihm zu. »Ich glaube nicht, daß ich je in meinem Leben so viele Schriftrollen an einem Ort gesehen habe, nicht einmal in Ciceros Haus. Doch jetzt solltest du deine Blicke lieber auf den Boden konzentrieren. Wenn je ein Teppich entworfen wurde, Blutflecken zu kaschieren, dann muß es dieser hier sein, alles dunkelrot und schwarz. Trotzdem sollten wir, wenn Lucius hier geblutet hat und der Mörder nur den Umhang benutzte, um das Blut aufzuwischen, einige Spuren finden.«
Gemeinsam studierten Eco und ich das geometrische Muster. Das Morgenlicht wurde von Minute zu Minute heller, doch je länger wir es betrachteten, desto verwirrender mutete das Muster an. Wir schritten die gesamte Fläche des Teppichs ab, und Eco krabbelte schließlich sogar wie ein Hund auf allen vieren. Ohne Erfolg. Wenn es auf diesem Teppich je einen Tropfen Blut gegeben hatte, mußte ein Gott ihn in Staub verwandelt und weggeweht haben.
Auch die Fliesen, die am Teppichrand zu sehen waren, brachten uns nicht weiter. Ich schlug den Teppich an einer Ecke zurück, weil ich vermutete, jemand könne ihn ein wenig verschoben haben, um einen Blutfleck zu verdecken, fand jedoch nichts.
»Vielleicht ist Lucius doch nicht in diesem Raum getötet worden.« Ich seufzte. »Er muß geblutet haben, und worauf hätte das Blut tropfen sollen, wenn nicht auf den Boden. Es sei denn...« Ich machte einen Schritt auf den Tisch zu. »Es sei denn, er stand hier, wo er in seiner Bibliothek natürlich auch stehen würde, direkt vor dem Tisch. Der Schlag traf seine Stirn, nicht seinen Hinterkopf, also muß er seinem Angreifer ins Gesicht geblickt haben. Der Schlag traf ihn nicht links, sondern rechts, also muß er nach Norden geblickt haben, die linke Körperhälfte dem Tisch zugewandt, die rechte ungeschützt. Um die rechte Schläfe direkt von vorne zu treffen, muß der Mörder seinen Schlag mit der linken Hand ausgeführt haben; das könnte sich als sehr wichtig erweisen, Eco -jeder, der eine schwere Statue ergreift, um damit zuzuschlagen, nimmt instinktiv seinen starken Arm. Wir nehmen also an, daß der Mörder Linkshänder ist. Dann wäre Lucius also der Länge nach seitlich auf den Tisch gestürzt...«
Eco warf sich pflichtschuldig auf den Tisch inmitten des Durcheinanders von Dokumenten, die Crassus am
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