Die Pforten Des Hades
unter der aufgehenden Sonne erstrahlte die Bucht in Tausenden von winzigen, glitzernden Lichtpunkten. Wir gingen um das runde Becken, das in der frischen Morgenluft vor sich hin dampfte. Unsere zurückhaltend leisen Stimmen hallten unter der hohen Kuppel eigenartig wider.
»Ich dachte, Lucius und Gelina seien ein glückliches Paar gewesen«, sagte ich.
»Macht sie auf dich einen glücklichen Eindruck?«
»Ihr Mann ist vor wenigen Tagen eines grausamen Todes gestorben. Ich hatte kaum erwartet, sie lächelnd anzutreffen.«
»Ihre Stimmung hat sich seit seinem Tod nicht wesentlich verändert. Vorher war sie unglücklich wegen ihm, und jetzt ist sie wieder unglücklich wegen ihm und seinem unschönen Tod.«
»Auf dem Gemälde sieht sie nicht unglücklich aus. Täuscht das Bild?«
»Das Bild erfaßt sie so, wie sie war. Und warum macht sie auf diesem Porträt einen so glücklichen und in sich ruhenden Eindruck? Bedenke, daß sie mir in dem einen Raum des Hauses Modell gestanden hat, den Lucius nie betreten hat.«
»Ich habe gehört, sie hätten aus Liebe geheiratet.«
»So war es auch, und man sieht ja, was dabei herauskommt. Ich kannte Gelina schon vor ihrer Heirat als junges Mädchen. Ihre Mutter und ich waren etwa gleich alt und eng befreundet. Als Gelina Lucius heiratete, stand es mir kaum an, Kritik zu äußern, doch ich wußte schon damals, daß aus dieser Verbindung nur Kummer und Leid erwachsen würden.«
»Wie konntest du dir dessen so sicher sein? War er ein so übler Charakter?«
Sie sagte lange Zeit nichts. Dann meinte sie: »Ich behaupte nicht, ein großer Menschenkenner zu sein, Gordianus, zumindest nicht, was Männer betrifft. Weißt du, wie man mich in den guten alten Tagen genannt hat? Iaia Cyzicena, die Ewige Jungfrau, und das nicht ohne Grund. Was Männer angeht, habe ich wenig Erfahrung und verfüge über keinerlei besondere Einsicht. Ich bin sicher, daß mein Urteil über den Charakter eines Mannes weniger verläßlich ist als das der meisten Frauen. Doch selbst ein Urteil, das sich auf Erfahrung gründet, trägt nur so weit. Es gibt andere, sicherere Methoden, die Zukunft vorherzusehen.« Sie starrte in die sich über dem Wasser kräuselnden Dämpfe.
»Ach ja? Und was hält die Zukunft für dieses Haus und seine Bewohner bereit?«
»Etwas Düsteres und Schreckliches, ganz egal, was.« Sie schauderte. »Doch um deine Frage zu beantworten: Nein, Lucius war kein böser Mensch, er war nur schwach. Ein Mann ohne Vision, ohne Energie und ohne Ehrgeiz. Wäre Crassus nicht gewesen, wären er und Gelina schon vor langer Zeit verhungert.«
»Von einer Villa mit hundert Sklaven ist es ein weiter Weg bis zum Hungertod.«
»Doch Lucius selbst hat nicht ein Stückchen davon besessen! Nach allem, was ich weiß, wurde sein Einkommen durch den Erhalt dieses Palastes und der Fassade großen Reichtums völlig aufgezehrt. Bei seinen Beziehungen zu Crassus wäre jeder andere mittlerweile längst finanziell unabhängig und wohlhabend. Nicht so Lucius; er war zufrieden, gemütlich vor sich hin zu leben und sich mit dem zu begnügen, was man ihm freiwillig gab, wie ein verwöhnter Hund, der um Krumen vom Tisch seines Herrn bettelt. Und die Hand, die ihn gefüttert hat, hat ihn ganz bestimmt auch am Boden gehalten. Crassus war offenbar entschlossen, Lucius auf immer kriechen zu lassen, stets der ewig dankbare Verwandte, nie ein Gleicher oder Rivale. Und Crassus hat seine Methoden, dafür zu sorgen, daß Leute auf den ihnen zugedachten Plätzen bleiben. Nun, Gelina hätte etwas Besseres verdient gehabt. Jetzt ist sie völlig auf die Gnade Crassus angewiesen und kann nicht einmal mehr selbst bestimmen, ob ihre Haussklaven leben oder sterben sollen.«
»Und wenn letzteres geschehen sollte?«
Iaia starrte tief in den Dunst und antwortete nicht. Schweigend umrundeten wir das Becken.
»Ungeachtet möglicher Meinungsverschiedenheiten leidet Gelina meines Erachtens sehr am Tod ihres Mannes«, sagte ich leise. »Und sie wird noch mehr leiden, wenn Crassus seinen schrecklichen Plan in die Tat umsetzt.«
»Ja«, sagte Iaia mit matter Stimme wie von sehr weit weg. »Und sie wird nicht alleine leiden.«
»Wenn irgendjemand aus dem Haus Lucius ermordet hat, kann diese Person doch bestimmt nicht schweigend dabeistehen und zusehen, wie so viele Menschen an ihrer Statt hingemetzelt werden.«
»Nicht Menschen«, verbesserte sie mich, »Sklaven.«
»Trotzdem -«
»Und daß Sklaven, sogar neunundneunzig Sklaven, zum Wohle
Weitere Kostenlose Bücher