Die Pforten Des Hades
Unbehagen war so vage gewesen, daß ich es verworfen hatte, wie man ein Staubkörnchen wegblinzelt. In diesem Augenblick aber wußte ich, was es war und daß ich es nicht nur einmal gesehen hatte, sondern die ganze Zeit, während ich dagesessen, Crassus zugehört und meinen Blick durch den Raum hatte wandern lassen.
Ich drehte mich um und ging zu der kleinen Hercules-Statue mit dem Löwenumhang.
»Marcus Crassus, war dieser Raum tagsüber bewacht?«
»Natürlich nicht. Meine Leibwächter folgen mir überallhin. Der Raum war meines Wissens leer. Niemand hat einen legitimen Grund, tagsüber hierherzukommen.«
»Aber es könnte trotzdem jemand hereingekommen sein?«
»Vermutlich schon. Warum fragst du?«
»Marcus Crassus, du hast das Blut an dieser Statue doch niemandem gegenüber erwähnt, oder?«
»Nicht einmal gegenüber Morpheus«, sagte er träge, »mit dem ich eine lange überfallige Verabredung habe.«
»Und trotzdem wußte noch jemand im Haus davon. Denn seit unserem letzten Gespräch hat irgend jemand das getrocknete Blut auf der Löwenmähne gründlich abgewischt.«
»Was?«
»Schau her, gestern Abend waren zahlreiche Spuren getrockneten Blutes in den modellierten Furchen zu erkennen, die irgendjemand in der Zwischenzeit vorsätzlich und gründlich abgekratzt haben muß. Man kann sogar die Kratzer auf dem Metall erkennen.«
Er schürzte die Lippen. »Ja und?«
»Der übrige Raum hingegen wurde nicht kürzlich gesäubert; ich kann Staub auf den Regalen erkennen und die Rander eines Weinbechers auf dem Tisch. Es scheint mir unwahrscheinlich, daß ein Sklave diese spezielle Skulptur so gründlich gereinigt haben sollte, wo es doch in Vorbereitung der Beerdigung zahllose andere Arbeiten zu erledigen gibt. Außerdem hätte jeder Haussklave, der in diesem Haus Dienst tut, gewußt, wie man eine Statue säubert, ohne das Metall zu verkratzen. Nein, ich glaube, sie wurde eilig von jemandem abgewischt, der nicht wußte, daß das Blut bereits bemerkt worden war, und hoffte, seine Entdeckung zu verhindern. Und dieser Jemand war bestimmt nicht Alexandras und noch viel weniger Zeno. Woraus folgt, daß der Mörder von Lucius Licinius oder jemand, der etwas über den Mord weiß, hier unter uns weilt und tatkräftig Spuren verwischt.«
»Schon möglich«, räumte Crassus müde und gereizt ein. »Es wird kühl«, klagte er unvermittelt, nahm seinen Chlamys von der Zentaur-Statue und warf ihn über seine Schultern.
»Marcus Crassus, ich glaube, es wäre vielleicht eine gute Idee, Tag und Nacht eine Wache in diesem Raum zu postieren, um sicherzugehen, daß nichts ohne unser Wissen verändert wird.«
»Wenn du es wünschst. Gibt es sonst noch etwas?«
»Nichts, Marcus Crassus«, sagte ich leise, als ich den Raum rückwärts gehend verließ, den Kopf respektvoll gesenkt.
SECHZEHN
Warum du? fragte Eco am nächsten Morgen mit skeptischer Geste, als ich ihm von meiner mitternächtlichen Unterhaltung mit Crassus berichtete. Ich nahm an, er wolle einwenden: Warum sollte sich ein so bedeutender Mann jemandem wie dir anvertrauen ?
»Warum nicht?« fragte ich, während ich mein Gesicht mit kaltem Wasser benetzte. »Mit wem sollte er in diesem Haus sonst reden?«
Eco reckte die Schultern und deutete mit den Händen einen Vollbart in seinem Gesicht an.
»Ja, Marcus Mummius ist sein alter Freund und Vertrauter, aber im Moment streiten die beiden über das Schicksal des Sklaven Apollonius.«
Eco reckte die Nase in die Höhe und deutete aus der Stirn nach hinten gekämmte Locken an.
»Ja, da wäre noch Faustus Fabius, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß Crassus gegenüber einem Patrizier eine Schwäche zeigen würde, vor allem gegenüber einem Patrizier, der zufällig auch noch sein Untergebener ist.«
Eco verschränkte die von sich gestreckten Arme vor seinem Körper und blähte die Wangen. Ich schüttelte den Kopf. »Sergius Orata? Nein, vor einem Geschäftspartner würde Crassus eine Schwäche noch eher verbergen. Ein Philosoph wäre die naheliegende Wahl, aber wenn Crassus sich einen hält, hat er ihn in Rom zurückgelassen, und Dionysius verachtet er. Trotzdem braucht er verzweifelt einen Menschen, irgendjemanden, der ihm zuhört - hier und jetzt, weil die Götter zu weit weg sind. Er macht eine schwere Krise durch; er ist voller Zweifel. Seine Skepsis hetzt ihn von Stunde zu Stunde, von Augenblick zu Augenblick, und es geht um mehr als um den Entschluß, sich Spartacus im Kampf zu stellen. Ich glaube,
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