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Die Pforten Des Hades

Die Pforten Des Hades

Titel: Die Pforten Des Hades Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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daß er insgeheim seine Entscheidung anzweifelt, Gelinas Sklaven zu massakrieren. Er ist ein Mann, der an absolute Kontrolle und klare Entscheidungen gewöhnt ist, ein Mann, der greifbare Gewinne und Verluste abwägt. Die Vergangenheit verfolgt ihn - blutiges Chaos und der Tod seiner Lieben. Und jetzt steht er vor dem Schritt in eine dunkle und ungewisse Zukunft - ein schreckliches Risiko, aber eines, das einzugehen sich lohnt, denn wenn er Erfolg hat, wird er möglicherweise endlich so mächtig, daß keine irdische Macht ihm je wieder Schaden zufügen kann.«
    Ich zuckte die Schultern. »Warum also sollte er sich nicht Gordianus dem Sucher anvertrauen, vor dem ohnehin niemand etwas geheim halten kann? Und was meine Verschwiegenheit angeht, ich bin dafür berühmt, meinen Mund halten zu können - fast so berühmt wie du.«
    Eco bespritzte mich mit einer Handvoll Wasser.
    »Laß das! Außerdem habe ich irgend etwas an mir, was andere dazu drängt, mir ihr Herz auszuschütten.« Ich sagte das scherzhaft, aber es stimmte; es gibt Menschen, denen andere ganz selbstverständlich ihre innersten Geheimnisse anvertrauen, und ich war stets einer von ihnen. Ich betrachtete mich im Spiegel. Wenn die Macht, anderen die Wahrheit zu entlocken, in meinem Gesicht verborgen lag, konnte ich sie nicht erkennen. Es war ein ganz gewöhnliches Gesicht, dachte ich, mit einer Nase, die aussah, als ob sie gebrochen worden wäre, was jedoch nicht der Fall war, ganz gewöhnlichen braunen Augen und ganz gewöhnlichen schwarzen Locken, die Jahr für Jahr mehr graue Strähnen aufwiesen. Im Laufe der Zeit erinnerte es mich zunehmend an das Gesicht meines Vaters, soweit ich mir dieses überhaupt noch ins Gedächtnis rufen konnte. Von meiner Mutter wußte ich fast gar nichts mehr, doch wenn mein Vater die Wahrheit gesagt hatte, als er mir versicherte, daß sie schön gewesen war, dann hatte ich ihr Aussehen nicht geerbt.
    Außerdem schaute ich auf ein Gesicht, das dringend eine Rasur benötigte, wenn ich bei Lucius Liannas Bestattung einen ordentlichen Eindruck machen wollte.
    »Komm, Eco. Ich bin sicher, unter Gelinas neunundneunzig Sklaven befindet sich ein guter Barbier. Auch du kannst eine Rasur gebrauchen.« Ich sagte es nur, um ihm eine Freude zu machen, doch als ich in sein strahlendes Gesicht blickte, erkannte ich tatsächlich einen leichten Schatten um sein Kinn.
    »Gestern warst du noch ein Junge«, sagte ich leise zu mir selbst.
    So ironisch es klingt, es gibt nichts Lebendigeres als einen römischen Haushalt am Tag einer Beerdigung. Die Villa war voller Gäste, die sich im Atrium und in den Fluren, ja sogar bis in die Bäder drängten. Während Eco und ich auf Sofas lagen, um uns rasieren zu lassen, trieben sich unbekleidete Fremde um die Becken herum, um sich nach einem anstrengenden morgendlichen Ritt von so endernten Punkten wie Gapua oder der Rückseite des Vesuvs zu erfrischen. Andere waren aus Surrentum, Stabiae und Pompeji mit dem Schiff über die Bucht eingetroffen. Nach meinen Waschungen stand ich auf der Terrasse vor den Bädern und blickte auf das Bootshaus hinab, dessen kurzer Pier dem Andrang nicht gewachsen war; Barkassen und Skiffs waren miteinander vertäut, so daß später ankommende Gäste den Pier nur über eine kleine schwimmende Stadt aus Booten erreichen konnten.
    In ein riesiges Handtuch gewickelt gesellte sich Metrobius zu mir. »Lucius Licinius muß ein beliebter Mann gewesen sein«, sagte ich.
    Er schnaubte verächtlich. »Glaub bloß nicht, die wären alle nur gekommen, um zu sehen, wie sich der arme Lucius in Rauch auflöst. Nein, all die wohlhabenden Händler, Landbesitzer und Adeligen auf Urlaub sind aus einem ganz anderen Grund hier. Sie wollen du-weißt-schon-wen beeindrucken.« Er sah sich um und beobachtete, wie der Sklave Apollonius einem alten Mann aus dem Wasser half. »Ich hatte große Schwierigkeiten, überhaupt bis hierhin vorzudringen. Das Atrium ist schon so voll, daß ich es kaum durchqueren konnte. Ich habe nicht mehr so viel Schwarz auf einem Haufen gesehen seit Sullas Tod drüben in Puteoli. Obwohl ich bemerkt habe«, fügte er mit gerümpfter Nase hinzu, »daß die meisten Besucher einen großen Bogen um die Leiche gemacht haben.« Er lachte leise. »Und sie flüstern sich bereits Witze zu; das fängt normalerweise erst nach der Zeremonie beim Essen an.«
    »Witze?«
    »Ach, du weißt schon - sie treten an die Bahre, blicken in den Mund des Toten und erklären seufzend: >Die Münze ist noch

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