Die Pforten des Todes - Historischer Kriminalroman
anspornen mussten. Als sie in der Abenddämmerung den Fluss erreichten, war die Luft herbstlich kühl geworden.
»Die Sonne geht bald unter«, stellte Fidelma beunruhigt fest und machte sich Vorwürfe, beim Schmied Coccán im Dorf Baile Coll zu lange geblieben zu sein. Andererseits hatten sie eine Ruhepause gebraucht.
»Wir schaffen es nach Durlus, noch bevor es dunkel wird«, versicherte ihr Enda, der ihr ihre Besorgnis ansah, den Ort vielleicht erst in der Nacht zu erreichen.
Der Strom war hier nicht so breit wie am Unterlauf und bot eine leicht zu nehmende Furt. Bequem auf den Pferden sitzend, konnten sie an einer seichten Stelle den Fluss überqueren. Das Wasser war sehr klar, selbst im Dämmerschein erkannten sie gut den steinigen Untergrund. Die hin und her schießenden braunen Forellen verlockten Eadulf, abzusitzen und sie mit bloßen Händen zu fangen. Verrückt, dachte er, nach den beängstigenden Erlebnissen der letzten Tage sich so etwas Nebensächliches vorzustellen. Unter den Hufen der Pferde spritzte das Wasser nach allen Seiten, als sie die Uferböschung erklommen, und ihre Reiter rasteten abermals eine kurze Weile.
Im Süden dehnte sich die Ebene bis nach Cashel ausund wirkte im Vergleich zu der Moorlandschaft, durch die sie eben erst geritten waren, vertrauenerweckend. Im Norden zog sich dunkel eine Bergkette hin, die einen seltsam tiefen Einschnitt aufwies, der Eadulfs Wissbegier weckte. »Was ist das?«
»Die Leute nennen diese Eindellung Bearnán Éile, die Kluft der Éile«, erwiderte Fidelma. »In früheren Zeiten standen dort Bewaffnete und sicherten den Zugang nach Muman, wenn Kriegerscharen aus den nördlichen Königreichen ins fruchtbare Muman einzufallen drohten.«
»Merkwürdig ist diese Senke schon«, bemerkte Eadulf und schaute immer noch auf die Bergkämme.
Enda, der Ohrenzeuge der Unterhaltung war, lachte kurz auf. »Dazu gibt es eine lustige Geschichte. Ich habe sie neulich von einem Händler gehört, der wohl das Ansehen von Cashel ein bisschen ankratzen wollte. Angeblich erzählen sich die Leute in der Gegend dort Folgendes: Eines Tages flog der Teufel über Land und biss einen der Berggipfel ab. Nun lebten aber die Bewohner des Landes der Éile fromm und sittenstreng, und auch ihre grünen Felder waren rein und unverderbt. Das behagte dem Teufel gar nicht, nach einer Weile spie er den Brocken aus, der stürzte auf die Ebene weiter südlich, und so entstand der Fels von Cashel.«
»Eine reichlich alberne Geschichte, die es nicht wert ist, weitererzählt zu werden«, äußerte sich Fidelma verdrossen. »Bis Durlus haben wir noch eine ziemliche Strecke vor uns, also halten wir uns nicht länger auf.«
Enda verzog die Mundwinkel. Fidelma war nicht zum Scherzen aufgelegt. In leichtem Trab zogen sie in Ufernähe dahin. Die Straße war in ordentlichem Zustand. Die Éile waren offenbar darauf bedacht, den von Norden anreisendenBesuchern einen angenehmen Eindruck von ihrem Hauptort und der Festung zu vermitteln. Die Straße war so breit angelegt, dass zwei große Wagen mühelos aneinander vorbeikonnten. Die Hecken waren beschnitten, hohes Unkraut gejätet und Buschwerk niedrig gehalten. Dort, wo die Straße über morastigen Untergrund ging, hatte man Bohlen über Stützpfosten gelegt, so dass die Gefährte der Besucher nicht einsanken.
Im Gebiet der Osraige waren sie dem gleichen Verfahren begegnet, Knüppeldämme durch Moore anzulegen. Eadulf hatte in einer Gesetzessammlung, dem Book of Aicill, die entsprechenden Vorschriften gelesen. Jeder Stammesführer war verpflichtet, die Hauptwege in seinem Gebiet in ordentlichem Zustand zu halten.
Die Heerstraße, der sie folgten, führte über beträchtliche Strecken vom Suir weg durch dichten Wald. Seit sie aus Cronáns Festung geflohen waren, hatte Gormán den Vorreiter gemacht. Er fühlte sich für ihre Sicherheit verantwortlich. Unversehens riss er jetzt sein Pferd herum, dass es sich aufbäumte, und preschte zu ihnen zurück.
»In die Deckung!«, rief er. »Da hinunter!« Er wies auf eine Lücke zwischen Ginster und Schlehdorngestrüpp. Dahinter war eine Senke, die ihnen Schutz bot. »Von vorn kommen Krieger.«
Sie ritten den Abhang hinunter in ein Dickicht eng beieinanderstehender Bäume, blieben auf den Pferden sitzen und lauschten. Das Getrappel galoppierender Pferde wurde deutlicher und zog vorüber. Gormán war abgesessen und hatte sich so weit aus der Senke geschlichen, dass er die Vorüberreitenden hatte sehen können, ohne
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