Die Philosophen der Rundwelt
anderen Fliege.
Sie blickten aufs Wasser hinab und sahen mehrere sich ausdehnende konzentrische Kreise.
»Das heilige Zeichen!«, entfuhr es einer Eintagsfliege. »Man hat mir davon erzählt! Ein Großer Kreis im Wasser! Es ist das Zeichen der Großen Forelle!«
Die Religionen der Rundwelt vermeiden die Schwierigkeiten mit Göttern, die man wirklich sehen oder treffen oder von denen man verspeist werden kann: Die meisten gegenwärtigen Religionen halten es für angezeigt, Nägel mit Köpfen zu machen und ihre Götter an einem Ort zu lokalisieren, der sich nicht nur außerhalb des Rundwelt-Planeten befindet, sondern außerhalb des Rundwelt-Universums. Das lässt bewundernswerte Voraussicht erkennen, denn Gegenden, die heute unerreichbar sind, können morgen ein Wald von Touristenhotels sein. Als der Himmel ein unerforschter und unauslotbarer Bereich war, war es Mode, die Götter im Himmel zu orten oder auf dem unbesteigbaren Berg Olymp oder in den Hallen von Walhalla, was so ziemlich auf dasselbe hinausläuft. Doch inzwischen sind alle wesentlichen Berge bestiegen worden, die Menschen fliegen routinemäßig über den Atlantik, acht Kilometer hoch, und man hört selten Berichte von Begegnungen mit Göttern.
Es zeigt sich jedoch, dass Götter, die sich nicht Tag für Tag in körperlicher Form manifestieren, einen beeindruckenden Grad von Unaussprechlichkeit erlangen. Auf der Scheibenwelt andererseits ist es möglich, dass einem auf der Straße Götter über den Weg laufen, wenn sie nicht gerade im Straßengraben liegen. Sie faulenzen auch im Scheibenwelt-Gegenstück von Walhalla herum, bekannt als Würdentracht , welches sich auf dem Gipfel von Cori Celesti befindet, einer zehn Meilen hohen Felssäule von grünem Eis und grauem Stein bei der Mitte der Scheibe.
Wegen der alltäglichen Anwesenheit von Göttern, die man anfassen kann, gibt es auf der Scheibenwelt kein Problem mit dem Glauben an Götter; es geht vielmehr darum, wie sehr man ihre Lebensweise missbilligt. Auf der Rundwelt trifft man nicht auf Schritt und Tritt Götter – oder wenn doch, dann in so raffinierter Verkleidung, dass der Ungläubige sie nicht bemerkt. So ist es denn möglich, ernsthaft über Glauben zu debattieren, denn darauf beruht das Konzept, das die meisten Menschen von Gott haben.
Wir sagten schon, dass auf der Scheibenwelt alles reifiziert ist, und das gilt in ziemlich großem Maße auch für den Glauben. Nun ist der GV-Raum, der Raum der Glaubensvorstellungen, sehr groß, weil die Menschen lebhafte und vielfältige Phantasien haben und fast alles zu glauben imstande sind. Darum ist auch der G-Raum, der Götter-Raum, sehr groß. Und auf der Scheibenwelt werden Phasenräume reifiziert. Also ist es nicht nur so, dass die Scheibenwelt Götter hat: Sie ist damit geradezu verseucht. Es gibt mindestens 3000 größere Götter auf der Scheibe, und es vergeht kaum eine Woche, ohne dass die Forschungstheologen weitere entdecken. Manche verwenden Hilfsmittel wie Pappnasen, um in religiösen Aufzeichnungen unter hunderten von verschiedenen Namen aufzutauchen, weshalb es schwierig ist, den Überblick zu behalten. Unter ihnen sind Cephut, der Gott des Essbestecks ( Pyramiden ), Flatulus, Gott der Winde ( Einfach göttlich ), Gruni, der Gott des unreifen Obstes ( Alles Sense ), Hut, der geierköpfige Gott unerwarteter Besucher ( Pyramiden ), Offler, der Krokodilgott ( Gevatter Tod und Der Zauberhut ), Petulis, die Göttin veräußerlicher Zuneigung ( Einfach göttlich ), und Steikhegel, der Gott entlegener Kuhställe ( Gevatter Tod ).
Dann gibt es noch die geringeren Götter. Wie Die Scheibenwelt von A – Z uns mitteilt, gibt es »Milliarden von ihnen: winzige Bündel, die nicht mehr enthalten als reines Ego und ein wenig Verlangen«. Wonach es sie verlangt, zumindest für den Anfang, ist Menschenglaube, denn auf der Scheibenwelt sind Größe und Macht eines Gottes proportional zur Anzahl der Menschen, die an ihn oder sie oder es glauben. Es ist tatsächlich ganz ähnlich wie auf der Rundwelt, denn Einfluss und Macht einer Religion sind proportional zur Anzahl ihrer Anhänger. Die Parallele ist also viel enger, als man erwarten sollte – und just das sollte man von der Scheibenwelt immer erwarten, denn sie hat eine unheimliche Fähigkeit, die menschlichen Verhältnisse auf der Rundwelt zu reflektieren und zu erhellen. Eigentlich entscheidet nicht immer der Glaube der Menschen (oder der Eintagsfliegen). Siehe dazu Lords und Ladies :
Ein den
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