Die Philosophen der Rundwelt
Rahmen stellen. Wir glauben, dass dieser Rahmen naturgemäß alte Höhlenzeichnungen einschließt, von denen wir wissen, dass sie weit zurückliegen und also größeren Anspruch haben, echt primitiv zu sein, wenn wir sie nur mit Augen und Geist eines Zeitgenossen des Künstlers betrachten könnten. Dieselben Probleme treten auch bei Shakespeare auf: Wir haben nicht mehr die Ohren und den Geist – die Extelligenz – des ersten elisabethanischen Zeitalters.
Dafür müssen wir ein bisschen wissenschaftlicher vorgehen und betrachten, wie wir Licht, Schall, Berührungen wahrnehmen – was uns unsere Sinnesorgane sagen. Zunächst einmal sagen sie uns nichts, und das ist die erste Lehre. In seinem Buch Consciousness Explained (»Bewusstsein erklärt«) äußert sich Daniel Dennett sehr kritisch über das als kartesianisches Theater* [* Abermals »kartesianisch« wegen Descartes, dessen »cogito ergo sum« und »Geist ist von anderem Stoff als Materie« die Pop-Philosophie immer noch beeinflussen.] bekannte Bild vom Bewusstsein. Diesem Bild zufolge stellen wir uns vor, wie wir im Geiste in einem kleinen Theater sitzen, wo unsere Augen und Ohren Bilder und Klänge aus der Außenwelt hereinleiten. In der Schule haben wir alle gelernt, dass das Auge einer Kamera gleicht und dass ein Bild der Welt auf der Netzhaut abgebildet wird, als ob dies das Schwierige daran wäre. Nein, dort fängt die Schwierigkeit erst an, wenn verschiedene Bestandteile jenes Bildes auf verschiedenen Wegen in verschiedene Teile des Gehirns gelangen.
Wenn man einen sich bewegenden roten Bus sieht, werden in der Analyse, der das Hirn die Szene unterzieht, die Aspekte »sich bewegend«, »rot« und »Bus« ziemlich frühzeitig getrennt – und sie werden nicht wieder zusammengesetzt, um das geistige Bild zu synthetisieren. Vielmehr wird das Bild in Ihrem Kopf aus zahlreichen einzelnen Anhaltspunkten, einzelnen Stücken synthetisiert, und fast alles, was Sie »sehen«, wenn sie sich im Zimmer umblicken, existiert nur in Ihrem Gehirn. Es gleicht überhaupt nicht einem Fernsehbild. Es wird nicht augenblicklich aufgenommen und aktualisiert, sondern fast die gesamte »detaillierte« Umgebung ist wie eine Art Tapete um das kleine Stück erfunden, dem Ihre Aufmerksamkeit gilt. Die meisten Details sind in Ihrem Geist überhaupt nicht als solche vorhanden, doch das ist die Illusion, die Ihnen Ihr Geist präsentiert.
Wenn wir ein Gemälde sehen … Nur dass wir es eben wiederum gar nicht sehen. Es gibt mehrere Methoden, Menschen davon zu überzeugen, dass sie erfinden, was sie »sehen«, dass die Wahrnehmung nicht einfach eine Kopie vom Bild auf der Netzhaut des Auges ist. Es gibt beispielsweise einen blinden Fleck auf der Netzhaut, wo der Sehnerv sie verlässt. Er ist groß. Er ist so groß wie 150 Vollmonde (das ist kein Druckfehler: einhundertundfünfzig). Nicht, dass der Mond für unsere Augen so groß wäre, wie wir für gewöhnlich glauben – und gewiss nicht so groß, wie Hollywood ihn immer wieder zeigt. Wir »sehen« den Vollmond viel größer, als er »ist« (tut uns Leid, aber irgendwie müssen wir das, was in Ihrem Geist ist, von der Wirklichkeit draußen unterscheiden), vor allem, wenn er nahe am Horizont steht. Die beste Möglichkeit, sich das zu verdeutlichen, ist, sich selbst vorzuführen, dass der Mond so groß wie der kleine Fingernagel am ausgestreckten Arm ist. Strecken Sie den Arm aus, und die Spitze Ihres kleinsten Fingers bedeckt den Mond völlig. Der blinde Fleck ist also kleiner, als unsere Beschreibung suggerieren könnte, aber es ist immer noch ein ordentliches Stück des Netzhautbildes. Wir bemerken jedoch keinerlei Loch im Bild, das wir von der Außenwelt bekommen, weil des Gehirn das Fehlende mit der bestmöglichen Schätzung auffüllt.
Woher weiß das Gehirn, was genau vorn fehlt? Es weiß das nicht und braucht es nicht zu wissen: das ist der springende Punkt. Obwohl »einfügen« und »fehlen« auf diesem Gebiet der Wissenschaft herkömmliche Begriffe sind, führen sie abermals in die Irre. Das Hirn bemerkt nicht, dass etwas fehlt, also gibt es keine Lücke, die aufzufüllen wäre. Die Neuronen der Sehrinde – jenes Teils des Gehirns, der das Netzhautbild analysiert und eine Szene daraus macht, die wir erkennen und zuordnen können – sind auf raffinierte Arten verschaltet, die gewisse Vorurteile der Wahrnehmung verstärken. Experimente mit Farbstoffen, die auf die elektrischen Signale des Hirns reagieren, zeigen
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