Die Philosophen der Rundwelt
unser Geist vielleicht viel weniger abwechslungsreich, als wir glauben, sodass der Zeitungsastrologe und die Wahrsagerin sich in einem viel kleineren Phasenraum der menschlichen Erfahrung bewegen, als wir annehmen. Das würde erklären, warum so viele Menschen glauben, dass die Vorhersagen tiefe Einsichten erkennen lassen.
Wenn aber Astronomen die Zukunft vorhersagen und dabei Recht haben, sind die Leute paradoxer Weise viel weniger beeindruckt. Wenn sie jedes Mal Sonnen- und Mondfinsternisse korrekt vorhersagen, scheint das weniger bedeutsam zu sein, als wenn die Astrologen manchmal vielen Leuten etwas Plausibles prophezeien. Erinnern Sie sich an Y2K, die Prophezeiung, dass mit dem Anbruch des Jahres 2000 Flugzeuge abstürzen würden und Ihr Toaster nicht mehr funktionieren würde? Diese Prophezeiung hat die Welt für etliche Milliarden Dollar Arbeit gekostet, um das Problem abzuwenden – und es ist nicht geschehen. Vergeudete Zeit also? Durchaus nicht. Es ist nicht geschehen, weil die Menschen Vorkehrungen getroffen haben. Wenn sie das nicht getan hätten, wären die Kosten viel höher gewesen. Es war eine biblische Prophezeiung: »Wenn das so weitergeht …« Und siehe, die Vielen beherzigten es.
Diese rekursive Abhängigkeit der Prophezeiung von den Reaktionen der Menschen darauf – im Unterschied zu dem meisten, was wir sonst sagen – lässt sich auf unsere Fähigkeit im Umgang mit unseren eigenen erfundenen Zukünften zurückführen, auf die Geschichten, die wir uns erzählen. Sie bestätigen uns in unserer Identität. Wenn jemand – ein Astrologe oder, sagen wir, Nostradamus – mit dem Finger in jenen geistigen Ort sticht, an dem wir leben, und ein paar von seinen eigenen Geschichten einfügt, so ist es kein Wunder, dass wir ihm glauben möchten. Seine Geschichten sind aufregender als unsere. Auf dem Weg die Treppe hinab, um eine U-Bahn zur Arbeit zu erwischen, hätten wir nicht gedacht: »Ob ich heute wohl eine großen dunkelhaarigen Mann treffen werde?« Doch nachdem es uns erst einmal eingegeben worden ist, lächeln wir alle dunkelhaarigen Männer an, und sogar ein paar, die gar nicht groß sind. So wird unser Leben verändert (vielleicht sogar ziemlich nachhaltig, wenn Sie ein Mann sind, der da lächelt), und mit ihm die Geschichten, die wir uns für unsere Zukunft ausgemalt haben.
Diese Art, wie wir ziemlich vorhersehbar auf das reagieren, was uns die Welt präsentiert, lässt uns an unserem ansonsten unerschütterlichen Glauben zweifeln, dass wir entscheiden, was wir tun . Verfügen wir wirklich über einen freien Willen? Oder sind wir wie die Amöbe, die hierhin und dorthin treibt, vorangetrieben von der Dynamik eines Phasenraums, der von außen nicht wahrgenommen werden kann?
In Figments of Reality haben wir ein Kapitel eingefügt, das heißt: »Wir wollten ein Kapitel über den freien Willen, haben es uns dann aber anders überlegt, und hier ist es nun«. Darin untersuchten wir solche Fragen wie diejenige, ob es in einer Welt ohne wirklich freien Willen gerecht wäre, jemandem seine Taten vorzuwerfen. Wir kamen zu dem Schluss, dass es in einer Welt ohne wirklich freien Willen nichts zu entscheiden gibt: Wer beschuldigt wird, der wird sowieso beschuldigt, denn jede andere Möglichkeit ist ja ausgeschlossen.
Wir wollen bei diesen Fragen nicht ausführlicher verweilen, doch wir möchten die Hauptlinie der Argumentation zusammenfassen. Beginnen wir mit der Beobachtung, dass es keinen effektiven wissenschaftlichen Test für freien Willen gibt. Wir können das Universum nicht noch einmal seinen Gang gehen lassen, wobei alles exakt so ist wie zuvor, und sehen, ob beim zweiten Mal eine andere Entscheidung getroffen werden kann. Zudem scheint es in den Gesetzen der Physik keinen Raum für wirklich freien Willen zu geben. Die Quanten-Unbestimmtheit, die bei so vielen Philosophen und Wissenschaftlern als allumfassende Erklärung für das »Bewusstsein« herhalten muss, ist ein ganz und gar falsches Beispiel: stochastische Unbestimmtheit ist etwas anderes als die Wahl zwischen zwei klar abgegrenzten Möglichkeiten.
Es gibt viele Wege, wie die bekannten Gesetze der Physik eine Illusion des freien Willens erzeugen könnten, beispielsweise unter Rückgriff auf Chaos oder Emergenz, doch es ist ausgeschlossen, ein System einzurichten, das unterschiedliche Entscheidungen treffen könnte, obwohl jedes Teilchen im Universum einschließlich derer, die das System bilden, sich in beiden Fällen im selben Zustand
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