Die Philosophin
erwiderte Radominsky ungerührt.
»Wenn ich die Todesstrafe für bestimmte Bücher verlange, dann allein zu dem Zweck, großes Unheil von einer großen Zahl von Menschen fern zu halten. Darin weiß ich mich übrigens eines Sinnes mit Ihrem Vater, dem Kanzler.«
»Mein Vater und ich pflegen gelegentlich Umgang, Sie brauchen mir seine Meinung nicht zu erklären«, sagte Malesherbes und nahm noch eine Prise. »Doch wenn Sie mich dazu auffordern, frage ich Sie ganz direkt und ohne Umschweife: Wollen Sie wirklich Schriftsteller vierteilen und auf dem Scheiterhaufen verbrennen wie den Mörder Damiens, bloß weil sie Bücher verfasst haben, die Ihnen nicht gefallen?«
Radominsky brauchte keine Sekunde, um die Antwort zu geben.
»Wenn wir dadurch die Kirche und die Monarchie vor weiteren Damiens schützen – ja!« Er erhob sich von seinem Schreibtisch und begann, im Raum auf und ab zu gehen. »Was muss denn noch geschehen, Monsieur de Malesherbes, damit Sie den Zusammenhang endlich zugeben? Der Anschlag auf den König ist doch der Beweis: Die Enzyklopädie ist nichts anderes als eine Verschwörung zur Zerstörung der Religion und Unterminierung des Staates, wie Gott ihn den Menschen gegeben hat. Und die verderbliche Saat geht auf, sie blüht und gedeiht. Haben Sie schon
Über den Geist
gelesen, die neueste Schmähschrift der Philosophen? Der Verfasser, ein gewisser Helvétius, erklärt darin das Interesse des Individuums am eigenen Ich zum Hauptprinzip menschlichen Handelns. Selbstliebe als Quelle der Moral!«
»Ich kenne das Buch. Es ist der Versuch, das Glück des Einzelnen mit dem Wohlergehen der Gemeinschaft in Einklang zu bringen. Ein löbliches Unterfangen.«
»Das Buch ist eine Zusammenfassung der Enzyklopädie – ein einziger Aufruf zur Rebellion. Dieser Helvétius, oder wer immer sich hinter dem Namen versteckt, polemisiert gegen alles, was heilig ist: gegen die Kirche, gegen die Gesetze, gegen das Klosterwesen, gegen den Wunderglauben – sogar gegen den Straßenbau und die Kolonialwirtschaft. Keine Ladung Zucker, so seine Behauptung, treffe in Europa ein, die nicht von Menschenblut gefärbt sei.« Radominsky blieb vor Malesherbes stehen und blickte ihm ins Gesicht. »Begreifen Sie doch endlich, dass wir gegen solche Schriften einschreiten müssen! Wenn wir das nicht tun, versündigen wir uns an der von Gott gewollten Ordnung der Dinge, wonach derKönig dem himmlischen Willen Geltung auf Erden verschafft, und schaufeln mit am Grab der Monarchie von Gottes Gnaden.«
Malesherbes erwiderte fest seinen Blick. Dann schüttelte er den Kopf.
»Sie werden mit Ihrer Initiative nicht durchdringen. Auch wenn Sie Maupéou und das Parlament hinter sich gebracht haben.«
»Sie vergessen Ihren Vater, den Kanzler.«
»Auch er kann Ihnen nicht helfen. Denn
eine
Macht im Staat fehlt Ihnen noch.«
»Ich wüsste nicht, welche.«
»Die entscheidende!« Malesherbes machte eine genüssliche Pause, um sich ein drittes Mal zu schnäuzen. »Madame de Pompadour, die Favoritin des Königs.«
Radominsky zuckte die Schultern. »Madame de Pompadour hat mir ihre Unterstützung bereits zugesagt.«
»Das glaube ich nicht. Was für einen Grund sollte sie haben? Die Marquise ist eine Freundin der Philosophie.«
»Mag sein«, entgegnete Radominsky mit einem Lächeln, »vor allem aber ist die Pompadour eine Freundin der Pompadour. Glücklicherweise ist es mir gelungen, ihr eine kleine Freude zu bereiten. Die Königin hat sie gestern offiziell zu ihrer Ehrendame ernannt. Waren Sie darüber nicht im Bilde?«
13
Was ist der Mensch, dass er Pläne macht?
Diderot war einer Einladung Melchior Grimms nach La Chevrette gefolgt, einem kleinen idyllischen Ort, wo Louise d’Épinay, die reiche Mätresse des Journalisten, ein komfortables Landgut mit vielen Gästezimmern besaß. Dort, in der Ruhe und Abgeschiedenheit der Provinz, fern von allen Aufregungen der Hauptstadt Paris, wollte Diderot arbeiten. Doch statt zu lesen und zu schreiben oder einfach vor sich hin zu träumen, ohne dass ein Setzerlehrling vor der Tür auf die Bogen wartete, sah er sich von morgens bis abends den Nachstellungen Rousseaus ausgesetzt, der mit seiner Frau und seiner Schwiegermutter eine Einsiedelei in der Nachbarschaft bezogen hatte. Denn sein alter Freund hatte einen Satz in Diderots
Natürlichem Sohn
entdeckt, den er als Kritik an seiner Person auffasste: »Nur ein schlechter Mensch lebt allein.«
Seit dieser Entdeckung glich La Chevrette einem Tollhaus.
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