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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Enzyklopädie.«
    »Glauben Sie, dass ein Mann sein Lebenswerk aufgibt, um sein Leben zu retten?«
    »Sie scheinen die Menschen zu kennen. Ich war bei Diderot, um ihm persönlich zur Flucht zu raten. Er hat genauso reagiert, wie Sie vermuten.«
    »Sie waren bei ihm?«, fragte Sophie überrascht.
    »Mit Ihrer Erlaubnis, vor zwei Tagen.«
    »Was hat er gesagt?«
    »Er meint, Flucht komme dem Eingeständnis seiner Schuld gleich. Er will Paris deshalb auf keinen Fall verlassen. Er weigert sich sogar, seinen todkranken Vater in Langres zu besuchen, nur um sich keine Blöße zu geben.«
    »Aber das ist doch Wahnsinn!«
    »Ich wage nicht, Ihnen zu widersprechen.«
    Sophie blickte Malesherbes an. »Wenn Diderot nicht selbst begreift, in welcher Gefahr er schwebt, müssen andere für ihn handeln. Wir dürfen ihn nicht dem Schicksal überlassen.«
    »Was erwarten Sie von mir?«
    »Geben Sie die Enzyklopädie frei, Monsieur de Malesherbes! Wegen eines Buches, für das sich der oberste Zensor Frankreichs verbürgt, kann niemand verfolgt werden.«
    »Ich fürchte, Sie überschätzen meine Möglichkeiten. Hier walten Kräfte, gegen die ich nichts mehr vermag. Die Monarchie steht auf dem Spiel. Der Krieg gegen England und Preußen nimmt kein Ende und tobt jetzt sogar im fernen Amerika. Die Staatskasse ist leer, das Volk rebelliert gegen den Hof – es gärt und brodelt im ganzen Land. Frankreich ist ein Pulverfass.«
    »Ist das die Schuld der Enzyklopädisten? Oder nicht vielmehr die der Minister und ihrer Regierung?«
    »Es geht nicht um Schuld, es geht um Macht, Sophie, und je stärker der Staat sich in seiner Macht bedroht sieht, desto heftiger setzt er sich zur Wehr. Darin gleicht er einem verwundeten Tier.«
    »Dann muss man ihn beschwichtigen, ihn besänftigen, ihn beruhigen.«
    »Ich fürchte, dazu ist es zu spät. Die Kirche und das Parlament haben sich verbündet – eine Allianz, gegen die keine Macht auf Erden ankommt, zumindest keine Macht in Frankreich. Bislang stand noch Madame de Pompadour zwischen den beiden Parteien, um korrigierend einzugreifen, doch jetzt, da sie sich gezwungen sieht, um ihre eigene Stellung zu kämpfen …«
    »Wollen Sie es nicht dennoch versuchen?«
    »Ich bin Zensor, kaum mehr als ein Polizist …«
    »Und wenn ich Sie bitte?« Sie drückte seinen Arm. »Mir zuliebe …«
    Er erwiderte ihr Lächeln, dann wurde er plötzlich ernst.
    »Woher rührt Ihr Interesse an der Enzyklopädie?«, fragte er. Sophie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. »Sie wissen doch, ich kannte Damiens.«
    Malesherbes schüttelte den Kopf. »Sie sagten, Sie hätten bereitsdamals, in den Diensten Monsieur Poissons, ein Exemplar des Wörterbuchs besessen. Das ist recht ungewöhnlich für eine Zofe.« Er blickte sie prüfend an. »Woher hatten Sie das Buch, Sophie?«
    Unter seinen grauen Augen war es ihr nicht länger möglich zu lügen. So schwer es ihr fiel, erwiderte sie seinen Blick, während sie mit rauer Stimme sagte: »Dorval ist Diderots Sohn.« Malesherbes nickte. »Ich hatte es mir fast gedacht. Sie haben ihn mit der Enzyklopädie im Lesen unterrichtet. Eine solche Idee kann nur die Liebe eingeben.«
    »Werden Sie mir …«, Sophie brauchte ihren ganzen Mut, um ihre letzte Frage zu stellen, »werden Sie uns trotzdem helfen?«

15
     
    »Womit habe ich das verdient? Diese Schande! Sogar die Nachbarn wissen schon, dass du dich aus dem Staub machen musst!«
    Diderot hörte kaum hin. Während Nanette hinter ihm wieder und wieder das Schicksal beklagte, das sie an ihn gekettet hatte, packte er seine Sachen. In fieberhafter Eile sichtete er die Papiere, die im ganzen Raum herumlagen – Spuren seiner Arbeit und seines Lebens, allesamt mögliche Zeugen der Anklage. Wohin er griff, fand er belastendes Material, in jedem Zettelkasten, in jedem Schubfach, mehr als genug, um ihn für den Rest seines Lebens in die Festung von Vincennes zu bringen, wenn nicht gar aufs Schafott. Was die Allianz ausStaat und Kirche so viele Jahre nicht geschafft hatte, hatte sie nun im Verbund mit seinem alten Freund Rousseau vollbracht: Die Enzyklopädie – das Sturmgeschütz der Vernunft, die Armada der Philosophie, die Kriegsmaschine der Aufklärung – war zerstört.
    »Wo ist mein Schlafrock?«
    »Den alten Lappen willst du mitnehmen?«
    »Ohne ihn kann ich nicht denken.«
    Er hatte sich bis zum letzten Augenblick gegen die Flucht gesträubt. Auch Le Bréton hatte alles getan, um ihn in Paris zu halten, sogar einen neuen Vertrag

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