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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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die Schweizer Stadt für die Enzyklopädie geschrieben hatte. »Die Genfer waren immer gute Kunden.«
    Während die andern darüber stritten, ob Rousseau krank oder verrückt war, überflog Diderot mit zitternden Händen das Pamphlet. Der Text war eine einzige Kriegserklärung. Um die Tugend seiner Vaterstadt zu retten, verdammte Rousseau alles, was den Philosophen heilig war: die Vernunft, das Theater, den Atheismus. Stattdessen propagierte er eine neue Frömmigkeit, berief sich auf das Herz und den Sternenhimmel und warf seinen alten Verbündeten Verrat vor. Die Sache war so kläglich, dass Diderot übel davon wurde. Rousseau musste das widerliche Geschmier in La Chevrette zu Papier gebracht haben, während sie einander täglich sahen.
    »Man kann es nicht glauben!«, sagte Jaucourt. »Der Opernkomponist verdammt das Theater! Er muss verrückt sein!«
    »Er ist krank«, erwiderte d’Alembert. »Ein Kranker mit viel Geist, aber er hat nur Geist, wenn er fiebert.«
    »Ihm ist sein Harn zu Kopf gestiegen, weil er nicht pissen kann!« Le Bréton verdrehte die Augen. »Ich habe das Stinktierschon immer gehasst. Aber lassen wir Rousseau! Was ist mit den andern? Was sagt man im ›Procope‹?«
    »Im ›Procope‹ traut sich fast keiner mehr was zu sagen«, antwortete Jaucourt. »Jeder fürchtet sich vor jedem. Vor den Spitzeln, vor den Tischnachbarn, vor sich selbst. Duclos, Marmontel und Turgot haben ihre Mitarbeit gekündigt.«
    »Das … ist nicht wahr!«, stammelte d’Alembert. »Drei unserer wichtigsten Autoren …«
    »Die Ratten verlassen das sinkende Schiff.« Die Nachricht hatte Le Bréton mit solcher Wucht getroffen, dass er auf einen Stuhl sank. »Diese verfluchten Verräter! Pest und Cholera über die Bande!«
    Diderot legte Rousseaus Traktat beiseite.
    »Sie sind keine Verräter, Le Bréton. Sie haben nur Angst.«
    »Unsinn! Wenn einer Grund zur Angst hat, dann ich! Der nächste Band ist im Satz, das ganze Lager bis unters Dach voll mit Papier. Wenn ich nicht drucken kann, bin ich ruiniert.«
    »Es geht nicht ums Geld.«
    »Nicht ums Geld? Worum dann?«
    »Die Leute fürchten um ihr Leben. Ihnen droht das Schafott – wie uns auch.«
    Plötzlich waren alle verstummt. Der Nachhall von Diderots Worten vermehrte nur das beklommene Schweigen, während das Stöhnen und Kreischen der Druckpressen wie aus einer anderen Welt zu ihnen heraufdrang.
    D’Alembert räusperte sich. Mit seinen großen braunen Augen blickte er Diderot an, scheu und verängstigt wie ein Reh.
    »Ich … ich glaube nicht, dass die Enzyklopädie je vollendet wird.« Er stockte, dann fügte er hinzu: »Zumindest nicht mit mir.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Diderot.
    »Ich bin es leid – leid, leid, leid! Der Spott in den Zeitungen, die Predigten von den Kanzeln und jede Nacht die Angst, dass die Polizei an der Tür klopft. Ich bin Wissenschaftler, kein Soldat!« Er holte tief Luft. »Meine Herren, Sie sind frei, einen Nachfolger für mich zu bestimmen. Ich lege mein Amt als Herausgeber nieder.«
    Er nickte den anderen kurz zu, dann drehte er sich um und verließ den Raum.

14
     
    »Sie müssen etwas unternehmen, Madame! Diderots Leben steht auf dem Spiel!«
    »Ich würde dir liebend gerne helfen, Sophie«, erwiderte die Pompadour, »aber mir sind die Hände gebunden.«
    »Wollen Sie zusehen, wie man ihn aufs Schafott schleppt?«
    »Was verlangst du von mir? Ich stehe unter schärfster Beobachtung. Ich habe sogar Monsieur de la Tour gebeten, die Arbeit an meinem Porträt zu unterbrechen. Obwohl ich nicht weiß, wie lange mein Äußeres noch wert ist, auf der Leinwand festgehalten zu werden.«
    Sophie musste einsehen, dass von der Mätresse des Königs keine Hilfe zu erwarten war. Madame de Pompadour war nicht bereit, ihre mit knapper Not bewerkstelligte Rettung am Hof zu gefährden. Sie hatte nicht nur die Verbindungstür zu den Gemächern des Königs mit einer Mauer verschlossen, sondern auch den Zugang zu ihrem Herzen. Jetzt gab es nur noch einen Menschen, an den Sophie sich wendenkonnte: Monsieur de Malesherbes, den Direktor der königlichen Hofbibliothek und Oberaufseher des Buchwesens. Als er das nächste Mal bei ihr vorsprach, teilte sie ihm ihre Ängste mit.
    Malesherbes nahm eine Prise Schnupftabak und wiegte den Kopf.
    »Diderot sollte Paris verlassen, das ist der einzige Rat, den ein vernünftiger Mensch ihm geben kann. Es sei denn, er nimmt sich ein Beispiel an d’Alembert und distanziert sich von der

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