Die Philosophin
kürzlich für ein kleines Vermögen am Quai de l’Horloge erstanden hatte, aus seiner Westentasche und ließ den Deckel aufspringen. In einpaar Minuten musste er aufbrechen. Die letzten Textbände standen kurz vor dem Abschluss, er wollte in Massy, in der Nachbarschaft seines Landhauses, eine Scheune besichtigen, die man ihm zu einem günstigen Mietzins angeboten hatte, um die bereits fertigen Bände vor den Toren der Stadt zwischenzulagern, bis die Auslieferung endlich ohne Gefahr für das Unternehmen erfolgen konnte.
Würde er es schaffen, am Abend wieder pünktlich zu Hause zu sein? Er hatte es seiner Frau versprochen. Sie wollte unbedingt mit ihm in die Oper, um dort einem achtjährigen Wunderknaben aus Wien zuzuhören, der angeblich besser Klavier spielte als jeder Erwachsene – Mozart war sein Name.
Le Bréton klappte gerade den Deckel seiner Uhr zu, als plötzlich eine fremde Frau vor ihm stand, in seidenen Kleidern und einer Mantille über den Schultern, eine richtige Dame. Er schaute sie fragend an.
»Sie wünschen?« Er hatte die zwei Worte noch nicht ausgesprochen, da erkannte er sie. Das rote Haar und die vielen Sommersprossen konnten nur
einer
Frau gehören. »Madame Sophie? Parbleu, das ist aber eine Überraschung!«
»Ich bin gekommen, um Ihnen einen Vorschlag zu machen, Monsieur Le Bréton«, erwiderte sie. »Haben Sie einen Augenblick Zeit?«
»Sicher, gewiss, aber vielleicht woanders als in diesem Lärm. Wenn Sie mir bitte folgen?«
Er führte sie aus der lauten Druckerei die Treppe hinauf in den Salon seiner Privatwohnung, in das vornehmste Zimmer des ganzen Hauses, wo inmitten Hunderter Nippesfiguren aus sündhaft teurem Sèvres-Porzellan ein veritabler Flügel stand, der Stolz der ganzen Familie, obwohl niemand auf ihm spielte. Le Bréton bot Sophie einen Platz auf der Chaiselonguedirekt gegenüber dem schwarz lackierten Prachtstück an, sodass sie es unmöglich übersehen konnte.
»Was also haben Sie auf dem Herzen?«, fragte er und ließ sich in einen Sessel sinken. »Sie wollten mir einen Vorschlag machen?«
Zu seiner Enttäuschung schien Sophie den Flügel gar nicht zu beachten, genauso wenig wie den in Atlas gewandeten Mohren, der gerade mit einem Tablett hereinkam – seine Frau hatte ihn vor einem Monat als Diener angeschafft, um einer Freundin zu imponieren, die zwei Windhunde, drei Siamkatzen und einen Wellensittich besaß. Während der Mohr mit vielen Verbeugungen die dampfende Schokolade servierte, sprach Sophie so intensiv auf Le Bréton ein wie sonst nur untalentierte Autoren, die ihm ein Manuskript zum Druck aufschwätzen wollten. Sie berichtete vom Tod der Pompadour, von den neuen Ministern und den Gesetzen, die nun zur Anwendung gelangen würden. Wozu erzählte sie das alles? Le Bréton las jeden Morgen den
Mercure
und war bestens im Bilde. Wollte sie etwa Eindruck auf ihn machen mit ihren Kenntnissen vom Hof? Das war eher unwahrscheinlich – er kannte Sophie und schätzte sie als eine Frau, die wenig Aufhebens um ihre Person machte. Sollte sie sich so sehr verändert haben?
Dann kam sie plötzlich auf die Enzyklopädie zu sprechen. Eingehend erkundigte sie sich nach dem Stand der Dinge, wollte wissen, wie viele Textbände noch ausstanden, vor allem aber, wie weit der Druck vorangeschritten sei. Le Bréton runzelte die Stirn. Woher rührte dieses Interesse? Diderot und sie waren seit Jahren getrennt. Sie hatte mit der ganzen Sache doch nichts mehr zu tun!
Als sie den Grund nannte, weshalb sie gekommen war, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen.
»Das kann ich nie und nimmer verantworten. Diderot bringt mich um!«
»Er braucht davon nichts zu wissen«, erwiderte sie so ruhig, als habe sie ihn um einen ganz alltäglichen Gefallen gebeten. »Als Verleger tragen Sie die letzte Verantwortung für das Unternehmen. Sie dürfen nicht riskieren, dass am Ende womöglich über zwanzig Jahre Arbeit umsonst gewesen sind.« Und als er nichts sagte, fügte sie hinzu: »Oder wollen Sie das alles hier verlieren? Das schöne Porzellan, den herrlichen Flügel?«
Le Bréton holte ein Tuch aus der Tasche und wischte sich den Schweiß ab, der in großen Tropfen auf seiner Stirn perlte. Wie ungemütlich war plötzlich das sonst so behagliche Zimmer! Er schniefte und schnaufte, ächzte und stöhnte, während er auf seinem Stuhl hin und her rutschte, ohne zu einem Schluss zu kommen. Was diese Frau da sagte, war ja nicht von der Hand zu weisen, mehr noch, sie hatte tausendmal Recht,
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