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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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leider Gottes hatte sie das, wenn sie von einer großen Gefahr sprach, in der sie allesamt schwebten, und die Lösung, die sie vorschlug, war verdammt gescheit. Aber wie zum Teufel stellte sie sich die Umsetzung ihres abenteuerlichen Plans vor? Der gemeinste, hinterhältigste, schäbigste Zensor wäre sich zu schade, einen solchen Auftrag anzunehmen.
    »Nun, Monsieur Le Bréton?«
    Voller Sorge schaute er sich um. Die Arbeit eines Lebens steckte in all der Pracht und Herrlichkeit. Sollte er darauf in Zukunft verzichten?
    Le Bréton tat einen letzten Seufzer und wandte sich wieder seinem Gast zu.
    »Und wer, bitte schön«, fragte er, »soll eine solche Manipulation ausführen?«

16
     
    Saint-Cloud war ein kleiner, beschaulicher Ort im Südwesten von Paris, der berühmt war für seinen Park und seine Wasserspiele. Damit all das Wasser, das sich in plätschernde Bäche ergoss, um aus zahllosen Springbrunnen und Fontänen in die Seen und Teiche gespien zu werden, von keinerlei Unrat getrübt wurde, hatte man Netze von einem Ufer der Seine zum anderen gespannt. Darin fingen sich, von der Strömung aus der Hauptstadt herangetrieben, in buntem Durcheinander die seltsamsten Gegenstände, oft zum nicht geringen Nutzen der Wärter, welche die Anlage bewachten. Aber die Netze waren auch der Grund dafür, warum den unglücklichen Parisern, die sich in der Seine ertränkten, um aus dem Leben zu scheiden, nur selten das Glück vergönnt war, den unermesslichen Ozean zum Grab zu haben. Wenn nicht gerade Eisgang herrschte, endete ihre letzte Reise zwischen den Ufern von Saint-Cloud, und wer etwa gehofft hatte, er könne sich heimlich aus dieser Welt stehlen, wurde hier erkannt. An diesem Ort, nur einen Steinwurf vom großen Fluss entfernt, hatte Sophie ihr neues Heim gefunden.
    »Warum wohnen wir nicht mehr beim König?«
    »Wie oft willst du mich das noch fragen, Dorval? Weil Madame de Pompadour gestorben ist. Aber ich glaube, es wird langsam Zeit fürs Bett. Draußen ist es schon dunkel.«
    »Warum kommt Monsieur de Malesherbes uns nicht besuchen? Bin ich jetzt nicht mehr sein Sohn?«
    Sophie sah in Dorvals verstörtes Gesicht. Seit sie ihr Haus in Saint-Cloud bezogen hatten, war er kaum noch wieder zu erkennen. Er kümmerte sich nicht um die Eselstute, die Sophiefür ihn hierher hatte bringen lassen, er spielte nicht mit den Kindern in der Nachbarschaft und zeigte nicht mal mehr Lust zu lesen. Er schien zu leiden wie ein Prinz, den man aus seinem Märchenschloss vertrieben hatte. Doch Sophie fehlte jetzt die Zeit, ihm ein weiteres Mal die Gründe ihres Umzugs zu erklären. Sie erwartete wichtigen Besuch.
    »Ich weiß, wir hatten es sehr schön in Versailles«, sagte sie deshalb nur. »Aber das ist vorbei. Das Leben am Hof war eine falsche Geschichte.«
    »Wenn es dort schön war, wie kann es dann falsch gewesen sein?«, fragte Dorval irritiert. Plötzlich leuchteten seine blauen Augen. »Oder meinst du, wir kehren zu meinem richtigen Vater zurück?«
    Ein Klopfen an der Haustür ersparte Sophie die Antwort. »Jetzt aber Abmarsch mit dir!« Sie schickte Dorval ins Bett, dann ging sie die Stiege hinunter, um die Tür zu öffnen.
    Draußen in der Dunkelheit wartete der Verleger Le Bréton. Hinter ihm im Hof, vom fahlen Licht des Mondes beschienen, stand ein über und über beladener Pferdekarren. Der Kutscher stieg gerade vom Bock und zurrte die Plane los, unter der die Fracht verborgen war.
    »Bring alles ins Haus!«, rief Le Bréton ihm über die Schulter zu. »Es ist etwas spät geworden«, sagte er dann zu Sophie. »Das Stadttor war schon zu, ich musste erst einen Zöllner bestechen, damit er mich durchließ.«
    Gleich nachdem die Fracht abgeladen war, machte der Verleger sich auf den Rückweg nach Paris – der Zöllner wartete bis spätestens Mitternacht auf ihn. Sophie sah dem davonrumpelnden Karren nach, bis nur noch das Kutschenlicht zu erkennen war. Als der flackernde, immer kleiner werdende Schein hinter einer Hügelkuppe verschwand, zog sie denVorhang zu und verließ das Fenster. Es war höchste Zeit, mit der Arbeit zu beginnen.
    In Dutzenden von Stapeln türmten sich die Manuskripte und Korrekturfahnen auf dem Boden, alle alphabetisch sortiert. Sophie hob einen Packen auf den Schreibtisch und blätterte in den Artikeln, die von den unterschiedlichsten Autoren unterzeichnet waren. Sie handelten vom Teufel, vom Traum, von der Tuberkulose … Einmal mehr staunte Sophie, welch immenses, ungeheuerliches Wissen in diesem

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