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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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dass er die Todesstrafe für jeden verfügte, der sich den freien Künsten widmete: das nämliche Vorurteil zu allen Zeiten bei allen Völkern, die es gewagt haben, die Vernunft in Verruf zu bringen.«
    Diderot wiegte den Kopf. Schade, dass er hier das Perfekt gewählt hatte – das Präsens wäre besser gewesen, um den Bezug zur Gegenwart deutlich zu machen. Nun ja, in der Eile, in der er den Text zu Papier gebracht hatte, konnten solche Unachtsamkeiten unterlaufen. Begierig las er weiter, ließ die eigenenGedanken noch einmal Revue passieren, um die kleine Unzulänglichkeit möglichst schnell zu vergessen.
    Plötzlich stutzte er. Was hatte er denn da geschrieben?
    »Jetzt ist es aber genug«, sagte Le Bréton und wollte ihm den Bogen aus der Hand nehmen. »Wir dürfen keine Zeit verlieren!«
    »So lassen Sie mich doch in Ruhe!«
    Diderot gab den Text nicht her. »Die meisten Bewohner Arabiens«, las er, »waren Christen. Sie übten sich in der Medizin, einer Wissenschaft, die für den Fürsten wie für den Priester gleichermaßen nützlich war, für den Ketzer ebenso wie für den strengen Gläubigen; sie erlangten Bedeutung durch den Handel, den sie trieben, sodass die Sarazenen ihnen aufgrund der natürlichen Überlegenheit ihrer Aufklärung über die Unwissenheit die größte Hochachtung und Bewunderung entgegenbrachten …« Diderot runzelte die Stirn. In einem so vorteilhaften Licht hatte er die Christen des Morgenlands dargestellt? Das klang ja wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Wo war seine Kritik geblieben?
    »Herrgott! Wie lange wollen Sie denn noch …«
    Le Bréton sprach den Satz nicht zu Ende. Als Diderot das verstörte Gesicht des Verlegers sah, stieg mit einem Mal ein Verdacht in ihm auf, ein fürchterlicher, entsetzlicher, ganz und gar ungeheuerlicher Verdacht.
    Nein!
    Das konnte nicht sein!
    Das war unmöglich!
    Noch einmal überflog er die Zeilen, fiebernd vor Aufregung, vom Anfang bis zum Ende. Er hatte den Artikel nicht nur selbst geschrieben, sondern auch redigiert und Korrektur gelesen, er kannte ihn in- und auswendig. Doch je weiter erkam, desto mehr erhärtete sich sein Verdacht: Das, was er da las, waren nie und nimmer seine Worte. Dieser Artikel glich seinem Text so wenig wie der Bastard, den eine treulose Metze ihrem gehörnten Ehemann als sein eigen Fleisch und Blut unterzuschieben versucht.
    Völlig verwirrt blickte er Le Bréton an. Der Verleger war weiß wie Frischkäse.
    »Jetzt regen Sie sich nur nicht auf!«, schnaufte das Walross. »Ich kann Ihnen alles erklären.«

18
     
    Es war Nacht in der Rue de la Harpe. Die Druckmaschinen schwiegen, die Arbeiter waren fort. Nur im obersten Geschoss, im Redaktionsbüro unter dem Mansardendach, brannte noch Licht, und das dunkle Verlagshaus hallte wider vom Lärm der zwei Stimmen, die aus diesem Raum drangen. »Sie haben mir einen Dolch ins Herz gestoßen! Zwanzig Jahre meines Lebens vernichtet!«
    »Was für eine maßlose Übertreibung! Es sind doch nur Kleinigkeiten, winzige Details …«
    »Wie viele Wochen, wie viele Monate geht der Betrug schon? Nachdem wir alle Feinde besiegt haben, fallen Sie mir in den Rücken – der eigene Verleger! Hat man je von einer solchen Scheußlichkeit gehört?«
    »Schlafen Sie eine Nacht darüber! Gehen Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus! Sie sind ja vollkommen überarbeitet.«
    »Sie haben mein Werk verfälscht, verstümmelt, kastriert!«
    »Nur zu Ihrem eigenen Schutz. Glauben Sie mir! Sie werden mir noch dankbar sein.«
    »Dass ich nicht lache! Sie hatten Angst vor einem neuen Verbot. Sie hatten allein Ihren Profit im Sinn, nur aus niedrigster Gier haben Sie gehandelt! Sie Barbar! Sie Vandale! Sie …«
    Diderot fehlten die Worte. Was waren die Schrecken der Barbaren, die Verwüstungen der Vandalen im Vergleich zu dieser Schandtat? Le Bréton hatte ihn hintergangen, wie ein Mensch einen anderen Menschen nur hintergehen konnte. Er allein hatte die Möglichkeit gehabt, die redigierten Manuskripte und Fahnen noch einmal zu bearbeiten, bevor sie in den Druck gingen. Und wie hatte er diese Möglichkeit missbraucht! Der Mann, der wie er selbst am Erfolg des Unternehmens interessiert sein musste, hatte ihrer gemeinsamen Sache einen größeren Schaden zugefügt als ihre Feinde zusammen in über zwei Jahrzehnten!
    Nachdem Diderot die Entstellung seines Sarazenenartikels entdeckt hatte, war er einen Druckbogen nach dem andern durchgegangen. Sein Artikel über Spinoza? So gut wie nichts war davon

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