Die Philosophin
beteiligt?«
Sartine zückte sein Notizbuch. »Vor allem die beiden Herausgeber, Jean le Rond d’Alembert, ein illegitimer Spross der Madame de Tencin …«
»Madame de Tencin, der ehemaligen Stiftsdame, die den Schleier zerriss, um sich zur Hure von halb Frankreich zu machen?«
»Mit Verlaub«, bestätigte Sartine. »Sie hat ihren Sohn gleich nach der Geburt ausgesetzt, er stand ihrer Karriere am Hof im Wege. Monsieur d’Alembert leidet noch heute darunter, obwohl er in der Wissenschaft einen hervorragenden Ruf genießt.«
»Was ist das für ein Mann?«
»Ein Stubengelehrter mit kleinen menschlichen Schwächen. Er soll vor allem bekannte Autoren für das Wörterbuch gewinnen, Kollegen und Professoren der Sorbonne. Wichtigeraber«, fügte der Leutnant hinzu, »scheint mir der zweite Herausgeber zu sein, Denis Diderot. Er ist der eigentliche Kopf des Unternehmens.«
»Diderot? Ich habe den Namen nie gehört.«
»Ein überaus wandelbarer Geist. Er hat hundert verschiedene Physiognomien, je nachdem, woran seine Begeisterung sich gerade entzündet. Literat, Philosoph, Demagoge. Weiß sehr viel, hat aber nichts richtig gelernt, besitzt auch keine akademischen Titel, weshalb d’Alembert ihn insgeheim verachtet. Ein Mann, der an sehr zweifelhafte Dinge glaubt – Zukunft, Fortschritt und dergleichen.«
»Glaubt er an Gott, oder wenigstens an die Kirche?«
Sartine schüttelte den Kopf. »Er sagt, wenn er einmal stirbt, will er die Sakramente nur mit Rücksicht auf seine Angehörigen empfangen, damit man ihnen nicht vorhält, er sei ohne Religion gestorben. Außerdem hat er letztes Jahr eine üble Schmähschrift publiziert,
Philosophische Gedanken
, in der er den christlichen Wunderglauben zu religiösem Wahn erklärt.«
»Was wissen Sie sonst noch über ihn?«
»Er stammt aus ordentlichem Hause, sein Vater besaß eine Messerschmiede in Langres, wo er ursprünglich Geistlicher werden sollte wie sein Onkel, ein Domherr der dortigen Kathedrale. Er hatte bereits die Tonsur und wollte in den Orden eintreten, bei der Gesellschaft Jesu«, fügte Sartine vorsichtig hinzu, »stattdessen aber ist er nach Paris gezogen, um zu studieren.«
»Ein abtrünniger Jesuit?« Radominsky hob beeindruckt die Brauen. »Was hat er studiert?«
»Jura, Theologie, Medizin, Mathematik, Philosophie – fast alle Fächer, die es gibt. Trotzdem ist nichts Ordentliches ausihm geworden. Er hat Predigten für künftige Missionare und Artikel für dubiose Zeitungen verfasst, dazu Theaterkritiken und Übersetzungen. Ein Mann, der ausschließlich vom Schreiben lebt – ein sogenannter Berufsschriftsteller, eine neue, bislang unbekannte Spezies unter den Philosophen.« Radominsky nickte. »Offenbar ein Mann, den man ernst nehmen muss. Ein zweiter Voltaire?«
Sartine zögerte, bevor er eine Antwort gab. »Ich fürchte, dieser Diderot ist noch gefährlicher. Wollen Sie hören, wie er das Wörterbuch nennt?« Der Kriminalleutnant schlug in seinem Notizbuch eine markierte Seite auf, um zu zitieren:
»›Ein Buch wie die Bibel. Ein wirklich neues Testament für eine neue Zeit. Eine heilige Schrift des irdischen Lebens.‹«
»Das hat er wirklich gesagt?«
Radominsky blickte Sartine prüfend an. Unter den niederen Chargen der Polizei gab es nicht wenige Individuen, die, um sich wichtig zu machen, beim Rapport maßlos übertrieben oder gar selber Geschichten erfanden, in der Hoffnung auf ein Lob oder eine Beförderung. Doch der junge Offizier schien nicht von dieser Sorte zu sein. Sartine war zwar ebenso ehrgeizig wie intelligent, zwei Eigenschaften, die einem erfahrenen Beichtvater nicht unbedingt Vertrauen einflößten, doch er hatte ein klares, offenes Gesicht, aus dem zwei wache Augen schauten. Wegen dieser Augen hatte Radominsky den Generalleutnant der Pariser Polizei gebeten, Sartine für ihn abzustellen.
»Wie lauten Ihre Befehle?«, fragte der Leutnant.
»Ich werde es mir überlegen. Vorerst setzen Sie bitte Ihre Beobachtungen fort.«
Nachdem Sartine sich verabschiedet hatte, sagte Radominsky alle weiteren Termine für diesen Vormittag ab. Der Berichtdes Kriminalleutnants hatte ihn in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Sicher, die Schreiberlinge in den Kaffeehäusern waren zum größten Teil verkrachte Existenzen, von denen, einzeln und für sich genommen, wenig Gefahr ausging: mittellose Adlige, die ihre Vorfahren beschimpften, lüsterne Abbés, die den Zölibat abschaffen wollten, windige Advokaten, die gegen das Gesetz opponierten,
Weitere Kostenlose Bücher