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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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seine Lippen den Rand der Schale berührten, fiel alle Trauer von ihm ab, und seine müden Augen begannen zu leuchten. Denn süßer noch als ihr Trank war der Liebreiz, den die Prinzessin selber verströmte.«
    »Da muss ich aber staunen«, sagte Sophie. »Die Schale dampfte? Obwohl sie aus einer so fernen Provinz kam? Wie hat die Prinzessin es nur angestellt, dass die Schokolade unterwegs nicht kalt wurde?«
    »Vergaß ich etwa zu erzählen, dass sie die Schale auf dem Kopf trug wie alle Frauen im Morgenland? So sorgten die Flammen ihres Haares dafür, dass die Hitze auf der langen Reise erhalten blieb.«
    Sophie lachte. Was war das für ein Unsinn! Nichts von seinerGeschichte war wahr – und doch war sie so schön, dass sie am liebsten stundenlang gelauscht hätte. Vielleicht gerade, weil alles nur erfunden war?
    »Ich glaube Ihnen kein Wort!«, rief sie.
    »Probiere es selber aus, und du wirst sehen! Oder meinst du, ich könnte etwas erfinden, was in Wirklichkeit nicht möglich ist? Nein, Mirzoza, alles, was man sich vorstellen kann, wird eines Tages geschehen, auch wenn es manchmal eine Weile dauert.«
    Er hob ihr Kinn, sodass sie ihn anschauen musste. Sein Gesicht war jetzt ganz ernst. Plötzlich waren alle Gedanken aus ihrem Kopf verschwunden; sie dachte weder an den nächsten Tag noch an Madame de Puisieux, auch nicht an Antoine Sartine. Ja, sie bemerkte nicht einmal, dass im Schankraum des »Procope«, vor dem sie gerade standen, die Lichter ausgingen – sie sah nur noch seine unglaublich hellen Augen, die wie zwei Sterne in der Dunkelheit zu leuchten schienen.
    »Weißt du, was ich an dir mag?«, fragte er leise.
    Sie erwiderte stumm seinen Blick, während die Mücken in ihrem Nacken summten wie noch nie.
    »Du kannst dich selber vergessen. Wenn du arbeitest, wenn du lachst, wenn du zuhörst. Darum beneide ich dich. Willst du mir helfen, es von dir zu lernen?«
    »Bitte«, flüsterte sie, ohne die Augen von ihm zu lassen, »sprechen Sie nicht so mit mir, Monsieur Mongagul!«
    »Wie hast du mich genannt, Sophie?«
    Er blickte sie an, als erwache er aus einem Traum. Sein Lächeln, mit dem er sie gerade noch umfangen hatte, wich einem verstörten Blick, als würde er sie erst jetzt gewahr. Auf einmal wirkten seine Augen viel dunkler. Und unendlich traurig.
    »Ist Ihnen nicht gut, Monsieur Diderot?«
    Abrupt ließ er sie stehen und eilte davon, ohne ein Wort zum Abschied, während sie auf ihrer Wange noch die Berührung seiner Hand spürte. Doch bevor er im Dunkel der Nacht verschwand, aus dem er wie eine Spukgestalt vor ihr aufgetaucht war, drehte er sich noch einmal um und warf ihr eine Kusshand zu.
    Sophie fühlte sich, als hätte sie ein Glas Wein auf leeren Magen getrunken. Die Straße war menschenleer, von den Dächern hörte sie ein Miauen. Hatte sie die Begegnung nur geträumt?
    Ein Kater landete mit gespreizten Krallen neben ihr und hastete fauchend davon.

6
     
    Die Vorgänge im Café »Procope« blieben der Obrigkeit nicht verborgen. Bereits am nächsten Morgen erstattete Antoine Sartine einem Mann Bericht, dessen schlichtes Priesterhabit kaum ahnen ließ, welche gewaltige Verantwortung auf seinen Schultern ruhte. Pater Radominsky, so sein Name, ein Mann von knapp vierzig Jahren, war ein in Polen gebürtiger Jesuit, Profess der dortigen Ordensprovinz und als Vertrauter des römischen Generaloberen nach Frankreich entsandt, um der gleichfalls in Polen geborenen Königin Maria Leszczynska als Beichtvater zu dienen. Ausgestattet mit weitgehenden Vollmachten der Kurie, sollte er seinen Einfluss am Hof von Versailles zu einem einzigen Zweck nutzen: dass in derHauptstadt des französischen Königreiches Gottes Wille geschehe, zumindest aber der Wille des Papstes.
    »Was braut sich in diesem Kaffeehaus zusammen?«, fragte er den Kriminalleutnant.
    »Der Verleger Le Bréton«, berichtete Sartine, »bereitet ein neues Werk vor, ein Wörterbuch von beträchtlichem Umfang. Es hat den Anschein, dass er das Unternehmen mit allen Mitteln verwirklichen will. Angeblich hat er sein ganzes Geld in das Vorhaben gesteckt und sich bis an den Rand des Ruins verschuldet. Die Rede ist von achtzigtausend Livres.«
    »Achtzigtausend?«, staunte Radominsky. »So viel Geld für ein Wörterbuch?«
    »Sie nennen es Enzyklopädie. Alles Wissen der Welt, von A bis Z, nach philosophischen Grundsätzen gegliedert. Ich habe zwar nicht jedes Wort der Unterredung verstanden …«
    »Wer ist sonst noch an dem Unternehmen

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