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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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sei, bis er vor Langeweile zu gähnen anfing. Ackerbau und Viehzucht – die Herrschaften werden sich wundern!«
    »Und wir haben wirklich die Freiheit«, fragte d’Alembert, »die englische Vorlage abzuwandeln?«
    »Je stärker, desto besser, dann brauche ich den Engländern keine Tantiemen zu zahlen«, erwiderte Le Bréton glucksend. Er hob sein Glas und prostete seinen Gästen zu. »Aber wozum Teufel steckt Diderot? Er war doch eben noch da?« Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um nach seinem Herausgeber Ausschau zu halten. Schließlich entdeckte er ihn am Tresen im Gespräch mit dem Wirt. »He, worauf warten Sie? Kommen Sie endlich zu uns! Wir wollen anstoßen!«
    Diderot hob die Hand. »Einen Augenblick!« Noch während er antwortete, wandte er sich wieder dem Patron zu. »Ja, Sophie meine ich, die Kellnerin mit den roten Haaren. Ich muss sie unbedingt sprechen. Ist sie in der Küche?«
    Monsieur Procope schüttelte missmutig den Kopf. »Sie hat heute frei, ausgerechnet, bei dem Betrieb!«
    »Frei? Wieso denn das?«
    Als Diderot die Antwort hörte, wurde er blass.
    »Sie hat heute Morgen geheiratet, einen Stammgast, er sitzt meistens dort drüben am Eingang. Ich glaube, er heißt Sartine – kennen Sie ihn vielleicht?«

17
     
    Sophie war vor ihrem Mann zu Bett gegangen. Bis zum Hals hatte sie die Decke hochgezogen, um ihre Blöße zu verhüllen – darunter war sie nur mit einem Hemd bekleidet. Was würde passieren, wenn Sartine zu ihr kam? Mit Herzklopfen wartete sie, dass er sich an ihre Seite legte.
    Was für ein Tag! Es war alles so schnell gegangen, dass Sophie es selbst noch nicht begreifen konnte. Ein junger Vikar hatte sie nach der Morgenmesse in Saint-Germain-des-Prés getraut, und jetzt lag sie in einem teuren, weichen Federbettstatt auf ihrem Strohlager in der Dachkammer über dem »Procope«. Sartines Wohnung hatte zwei Zimmer, eine Küche und einen Schlafraum und sogar einen eigenen Abtritt auf dem Zwischengeschoss, den sie sich nur mit drei anderen Parteien teilen mussten. Was für ein Luxus! Die Bettwäsche, die Laken – alles war neu. Sophie hatte gedacht, sie würden die Aussteuer auf dem Heilig-Geist-Markt besorgen, dem Trödelmarkt auf der Place de Grève, wo sonst die Hinrichtungen stattfanden. Doch Sartine wollte keine gebrauchten Sachen und hatte darauf bestanden, alle für den Haushalt nötigen Dinge in ordentlichen Ladengeschäften zu kaufen, von den Handtüchern bis zu den Wischlappen.
    Er hatte über das ganze Gesicht gestrahlt, als sie ihm endlich ihr Jawort gegeben hatte. Für Sophie war seine Freude immer noch ein Rätsel. Warum wollte er ausgerechnet sie zur Frau? Sie war arm, nicht hübscher als tausend andere Mädchen und brachte keine Mitgift in die Ehe. Sartine hatte eine Repetieruhr, einen gerahmten Spiegel und Seidenstrümpfe, vor allem aber ein festes Einkommen. In jeder Straße, in jedem Haus gab es Dutzende Frauen, die ihn vom Fleck weg geheiratet hätten. Was würde der Preis sein, den er von ihr verlangte?
    Aus der Küche kamen Geräusche, wie wenn Wasser in eine Wanne geschüttet würde. Das Getuschel der Mädchen im Kloster fiel ihr ein, dunkle Ahnungen, was eine Frau in der Nacht ihrer Hochzeit erwartete, und sie spürte eine unbestimmte Sehnsucht in ihrem Leib. Doch wonach? Die Nonnen hatten immer nur von Schmerzen gesprochen, dass es wehtun würde und bluten und man darum am besten die Augen schließen sollte, um leise zu beten, bis es vorüber war. Plötzlich bekam sie eine Gänsehaut. Sie kannte Sartine ja überhaupt nicht, wusste nur, dass er ein Staatsdiener war undam liebsten Tee trank. Mit diesem Mann würde sie nun ihr ganzes weiteres Leben teilen. Ob er wohl aus dem Mund roch? Nichts widerte sie mehr an als fauliger Atem. Die Kutscher und Kloakenreiniger in der Tabakschenke von Saint-Marceau hatten so ekelhaft gestunken, dass es sie oft gewürgt hatte, wenn sie sie bediente.
    Sie stieß einen leisen Seufzer aus. Nein, sie wusste nichts von ihrem Mann. Aber welche Frau kannte schon den Mann, den sie heiratete?
    Als Sartine in die Kammer trat, stellte sie sich für einen Augenblick vor, es wäre Diderot. Aber das war nur ein Gedanke, und er war schon wieder fort, als ihr Mann sich zu ihr auf die Bettkante setzte. Er trug ein weißes, bis zum Boden reichendes Hemd, doch seltsam, er sah darin immer noch so ordentlich aus wie bei Tage in seinem Anzug, und sein Gesicht blickte so freundlich wie im Café »Procope«, wenn sie ihm seinen Tee brachte.

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