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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Mutter? Eine Frau, die sich gegen alle Gesetze auflehnte, weil sie versuchte, ein verbotenes Glück zu erlangen? Um am Ende doppelt und dreifach bestraft zu werden?
    »… Et in unum Dominum Jesum Christum, Filium Dei unigenitum. Et ex Patre natum ante omnia saecula …«
    Sophie schlug sich an die Brust. Sie war nach Paris gekommen, um hier Gerechtigkeit zu finden, in der Stadt, aus der einst der Freispruch für ihre Mutter gekommen war. Hier hatte sie gehofft, Antwort auf all die Fragen zu erlangen, die sie seit ihrer Kindheit bedrängten, die sie im Kloster schon verfolgt hatten und später dann in Dijon und in Langres und in Roanne, auf allen Stationen ihres Lebens. War dies nun die Antwort? Die Gerechtigkeit, nach der sie suchte? Dass sie genauso verflucht und verdammt war wie ihre Mutter?
    Auf der Stiege wurden Schritte laut, eilige, stolpernde Schritte. Gleich darauf klopfte es an der Tür.
    »Mirzoza!«
    Sophie fuhr zusammen. Sie faltete erneut die Hände und schloss die Augen.
    »Deum de Deo, lumen de lumine, Deum verum de Deo vero …«
    »Mirzoza! Mach auf! Ich muss mit dir sprechen! Bitte – Sophie!«
    Wieder und wieder rief er nach ihr, rief und klopfte und rief. Sophie hielt sich die Ohren zu, mit ihren Händen und mit der Kraft ihres Gebets. Nein, sie war nicht ihre Mutter, sie hatte ihr Beispiel begriffen! So laut sprach sie die Worte des Glaubens, dass sie sein Rufen nicht mehr hörte. Und doch konnte sie nicht die Bilder verbannen, die vor ihr inneres Auge traten, Bilder von seinem Gesicht, von seinem Kopf, von seinem Hut, aus dem eine bauschige Feder zu wachsen schien …
    »… Et in Spiritum Sanctum … et unam, sanctam Catholicam et Apostolicam Ecclesiam. Confiteor unum baptisma in remissionem peccatorum. Et expectio resurrectionem mortuorum. Et venturi saeculi …«
    Wieder und wieder sprach sie das Gebet. Doch während ihre Lippen den Glauben bekannten, hatte sie nur noch Angst, fühlte sie nur noch Angst, war sie nur noch Angst.
    Wie konnte sie sich nur aus dieser Angst befreien?

16
     
    Sektkorken knallten. Weiß schäumte der Champagner in die Gläser, die Le Bréton von allen Seiten entgegengestreckt wurden. Das halbe »Procope« scharte sich um den Verleger, der aus zwei Flaschen gleichzeitig einschenkte, während er sprach: »Mit der Geburt Moses begann die Zeitrechnung der Juden, mit der Geburt Jesu die Zeitrechnung der Christen, und mit der Geburt des Propheten die Zeitrechnung der Mohammedaner. Diese Geburtstage sind von heute an Geschichte. Denn heute beginnt eine neue Zeitrechnung – die Zeitrechnung der Philosophen!« Er stellte die Flaschen ab und hielt eine Urkunde in die Höhe, triumphierend wie eine Trophäe. »Hier ist das Privileg des Königs, die Druckerlaubnis für die Enzyklopädie!« Er schmatzte einen Kuss auf das Pergament, dann las er feierlich den Text vor: »Für ein auf Vernunfterkenntnis gegründetes Universallexikon der Wissenschaften, der Kunst und des Handwerks, übersetzt aus den Wörterbüchern von Chambers, Harris und Dyche, vermehrt um weitere Beiträge, herausgegeben von einer Gesellschaft von Gelehrten …«
    Seine Worte gingen in dem Ruf nach mehr Champagner unter. Es war, als strömten alle Dachstuhlschreiberlingevon Paris gleichzeitig aus ihren Höhlen ins »Procope«, um Le Bréton zu huldigen. Wie ein König hielt der Verleger Hof, flankiert von seinen Teilhabern und Geldgebern, die sich zur Feier des Tages ausnahmsweise in dem Kaffeehaus blicken ließen.
    »Ich gebe zu«, sagte d’Alembert mit einem verlegenen Lächeln, »bis heute habe ich nicht wirklich geglaubt, dass es gelingen könnte. Aber wenn der König Ihnen sein Privileg gibt« – kindliches Staunen füllte seine rehbraunen Augen –, »das heißt ja, er erlaubt die Enzyklopädie nicht nur, sondern er drückt ihr den offiziellen Stempel seiner Billigung auf, empfiehlt sie damit allen Franzosen zur Lektüre …«
    »Zum Kauf!«, verbesserte ihn der Verleger mit verzücktem Walrossgesicht.
    »Wie haben Sie das nur geschafft?«
    »Man muss eben wissen, wie man mit den Leuten redet – der Kanzler des Königs ist auch nur ein Mensch.« Le Brétons faltenreiche Visage ersoff in selbstgefälliger Glückseligkeit. »Der Kanzler hatte nur eine Sorge: So wenig Theologie wie möglich! Die Pfaffen machen ihm sonst die Hölle heiß. Da konnte ich ihn trösten. Eine halbe Stunde habe ich ihm von Ackerbau und Viehzucht erzählt, wie nützlich die Enzyklopädie für die französische Landwirtschaft

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