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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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hingekritzelte Zeilen. Diderot konnte nur den Namenszug entziffern. Er stammte von d’Argenson, dem Vizekanzler und Siegelbewahrer.
    »Am besten wird es sein, Sie bekennen sich zu Ihrer Schuld.«
    »Wie denn? Ich weiß ja nicht einmal, was man mir vorwirft!«
    »Nicht?« Sartine hob verwundert die Brauen. »Hat man Ihnen das nicht mitgeteilt? Das ist natürlich eine Unkorrektheit, für die ich mich entschuldigen muss. Die Anklage lautet auf Verbreitung sittengefährdender Schriften.«
    »Da müssen Sie sich irren. Ich habe mir nichts dergleichen vorzuwerfen.«
    »Bitte lassen Sie das! Sie wurden zweifelsfrei als Autor eines pornografischen Romans identifiziert.« Sartine schob eineAkte beiseite und hob ein Buch hoch. »Das haben Sie doch geschrieben, nicht wahr?«
    Diderot erkannte sofort ein Exemplar der
Geschwätzigen Kleinode.
    »Wenn Sie Ihre Schuld zugeben, wird Ihr Geständnis bei der Urteilsbemessung Berücksichtigung finden. Wenn Sie leugnen, schaden Sie sich selbst.«
    »Ich kann nur wiederholen, was ich bereits sagte: Ich habe nichts mit diesem Buch zu tun.«
    »Wirklich nicht?«
    Diderot schüttelte den Kopf.
    »Nun gut. Wenn Sie nicht wollen, werden wir den Fall auf unsere Weise klären.«
    Sartine hob ein Glöckchen vom Tisch und läutete. Gleich darauf betrat einer der Beamten, die Diderot verhaftet hatten, den Raum.
    Sartine gab ihm das Buch und sagte: »Bitte gehen Sie damit zu dem Verleger Le Bréton in der Rue de la Harpe und fragen Sie ihn nach dem Namen des Verfassers. Sollte er sich weigern, ihn zu nennen, machen Sie ihn darauf aufmerksam, dass wir dann ihn selbst anstelle des Autors zur Rechenschaft ziehen werden. Gedruckt in Kythera – dass ich nicht lache! Wir haben genügend Hinweise, dass dieses Buch aus seiner Werkstatt stammt. Also los, beeilen Sie sich! Worauf warten Sie noch?«
    »Da ist noch etwas, das wir bei der Verhaftung heute Morgen konfisziert haben.« Der Beamte hob die Druckfahnen in die Höhe, die Le Brétons Lehrling hatte abgeben wollen. »Wahrscheinlich eine philosophische Abhandlung. Ich habe jedenfalls kein Wort verstanden.«
    »Wie lautet der Titel?«
    »Brief an die Blinden, oder so ähnlich.«
    »Interessant! Zeigen Sie mal her!«
    Der Beamte reichte ihm die ungebundenen Seiten.
    »Mein Kompliment, Monsieur Diderot«, sagte Sartine, während er in dem Korrekturabzug blätterte. »Ich wusste gar nicht, was für ein vielseitiger und produktiver Autor Sie sind. – Oh, was sehe ich da? Der Brief richtet sich an Madame de Puisieux?« Sartine gab die Bogen seinem Beamten zurück. »Gut gemacht, Konstabler! Wenn Sie mit dem Verleger sprechen, überprüfen Sie die Herkunft dieses Textes gleich mit!«
    Sartine erhob sich, dann ging er mit dem Beamten hinaus. Diderot hörte, wie ein Schlüssel umgedreht wurde. Allein in dem Raum, hielt es ihn nicht länger auf seinem Stuhl. In was für eine Sache war er da hineingeraten? Er spürte förmlich, wie sich die Schlinge um seinen Hals immer enger zuzog. Sartine schien sogar von seiner Mätresse zu wissen … Jetzt kam alles auf seinen Verleger an. Aber konnte er sich auf das Walross verlassen? Einerseits war Le Bréton auf ihn angewiesen, andererseits … Diderot schloss die Augen. Falls Sartine ihm nachweisen konnte, dass er den
Blindenbrief
verfasst hatte, würde er für Jahre in die Bastille wandern. D’Alembert würde sich einen neuen Mitherausgeber für die Enzyklopädie suchen, und andere würden sein Werk vollenden, während er in seiner Zelle vermoderte. Und Nanette musste mit dem Sohn aus der Wohnung ausziehen und sich ein Zimmer in der Vorstadt suchen.
    Diderot stieß einen Fluch aus. Dieser elende kleine Roman … Seinen rechten Daumen würde er hergeben, könnte er ihn dadurch ungeschrieben machen.
    Um sich abzulenken, zog er die Bücher aus seinem Rock, die er bei der Verhaftung eilig eingesteckt hatte, die
Verteidigung des Sokrates
und das
Verlorene Paradies.
Doch er war viel zu nervös, um sich auf die Lektüre zu konzentrieren. Wer hatte Sartine nur verraten, dass
Die Geschwätzigen Kleinode
auf sein Konto gingen? Ein neidischer Schreiberling aus dem »Procope«? Das war ziemlich unwahrscheinlich. Wenn es gegen die Polizei ging, hielten die Autoren gewöhnlich zusammen, auch wenn sie untereinander spinnefeind waren. Irgendein Spitzel oder Denunziant? Schon eher. Es wimmelte in den Cafés von solchen Kreaturen – sogar unter den Druckern und Setzern gab es Verräter, die für ein paar Sous ihr Wissen

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