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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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später in der Hauptwache der Pariser Polizei auf seine Vernehmung wartete, die Ereignisse immer noch nicht begriff.
    Gegen neun Uhr waren die Beamten wie aus dem Nichts bei ihm aufgetaucht, um ihn in einem vergitterten Kutschwagen hierher zu verschleppen. Was in aller Welt warf man ihm vor? Seiner Frau Nanette hatte er, zu ihrer und zu seiner eigenen Schonung, nur gesagt, er würde in Geschäften ausgehen und wahrscheinlich auswärts zu Mittag essen – wenn sie bis zum Abend nichts von ihm höre, solle sie Nachricht bei seinem Verleger Le Bréton einholen.
    Zum Glück hatten sie d’Alembert laufen lassen und sein Arbeitszimmer nur flüchtig durchsucht. Nicht auszumalen, wenn sie in den Pappkartons mit all den Notizen und Unterlagen gewühlt hätten! Der Inhalt war der reinste Sprengstoff. Diderot rieb sich den Arm. Er schmerzte noch von dem Schlag, den einer der Beamten ihm bei der Verhaftung versetzt hatte, um ihn an der Annahme der Korrekturfahnen zu hindern, mit denen ein Druckerlehrling gerade angekommen war, als sie das Haus verließen. Der Beamte hatte den Text an sich genommen – Diderot hoffte nur, dass es nicht der
Blindenbrief
war, den er von Le Bréton angefordert hatte, um ein paar Passagen zu korrigieren, bevor die zweite Auflage in Druck ging. Wenn der blaue Fleck an seinem Arm der einzige Schaden war, den er an diesem Morgen davontrug, wollte er sich glücklich preisen.
    Ungeduldig schaute Diderot sich um. Herrgott, wann würde er endlich erfahren, was sie mit ihm vorhatten? Auf dem Flur der Hauptwache herrschte trotz der frühen Stunde bereits reger Betrieb. Die Soldaten der Nachtbrigade, die mit ihren Spitzeln bis zum Morgengrauen in den Straßen und Gassen unterwegs gewesen waren, um nach verdächtigen Individuen zu spähen, führten ihre Verhafteten vor, zumeist kleine Diebe oder Ganoven, die des Nachts die Hauptstadt unsichermachten. Außerdem bevölkerte ein Dutzend Dirnen, die in irgendeinem Bordell aufgelesen worden waren und jetzt vor Müdigkeit gähnten, den Gang. Ein kleinwüchsiger Kommissar mit heller Kinderstimme, der ständig auf den Fußballen wippte, teilte sie in zwei Gruppen ein: Die einen schickte er ins Hospiz zur Behandlung, die anderen in die Bastille zur Besserung.
    Ab und zu ging eine Tür auf, und Diderot erhaschte einen Blick auf den Sekretär des Generalleutnants. Wer ins Gefängnis ging und für wie lange, entschied allein dieser Mann. Dutzende von Menschen umstanden ihn, um ihre Klagen und Anliegen vorzubringen. Die Gesuche auf seinem Tisch stapelten sich in solchen Massen, dass die Bürodiener, die sie einsammeln wollten, sie kaum zu schleppen vermochten, während vor Furcht zitternde Bittsteller ihn mit »Euer Gnaden« anredeten. Man bedrängte ihn, schob ihm Geschenke zu und flüsterte ihm ins Ohr. Er aber antwortete stets nur mit wenigen Worten oder einer Geste. Diderot spürte, wie die Wut in ihm hochkochte. Wie konnte die Freiheit so vieler Menschen von einem einzigen Mann abhängen! Scheinbar ohne nachzudenken, entschied der Sekretär in Sekunden über jeden Fall, den ihm die Ankläger vortrugen. Die Bastille verschlang alles, was da kam, auch wenn die meisten von denen, die in das gefürchtete Gefängnis gerieten, verdorbener als zuvor von dort zurückkehrten. »Mitkommen!«
    Ein Gardist führte Diderot in einen kleinen, finsteren Raum, in dessen Rückwand als Fenster nur ein winziges Loch eingelassen war. In der Düsternis konnte er kaum etwas erkennen.
    »Bitte nehmen Sie Platz!«
    Jemand zündete eine Kerze an. Diderot drehte sich um, verwundert über den höflichen Ton der Anrede. Erst jetzt sah er den Tisch in der Mitte des Raums, und dahinter den Beamten, der ihn verhören würde. Als dieser den Kopf zu ihm wandte, blickte er in ein vertrautes Gesicht.
    »Monsieur Sartine?«, fragte er ungläubig.
    »Ganz richtig«, erwiderte dieser ohne eine Regung, während er mit der Hand auf einen Stuhl vor seinem Tisch wies.
    »Aber«, stammelte Diderot, »wir … wir kennen uns doch …«
    »Das tut nichts zur Sache.«
    Diderot wusste, dass er eine vollkommen unsinnige Bemerkung gemacht hatte, und verfluchte sich dafür. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf, als er Platz nahm. Was hatte das zu bedeuten, dass ausgerechnet dieser Mensch ihn vernahm? Hatte Sartine seine Verhaftung veranlasst? Wollte er sich etwa an ihm rächen? Wegen Sophie?
    Bevor er eine Frage stellen konnte, zeigte Sartine ihm seinen Verhaftungszettel: ein paar wenige, flüchtig

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