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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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ihrParadies. Da man ihm Bücher und Schreibzeug abgenommen hatte, wurde es ihm in Ermangelung irgendwelcher Tätigkeiten bald zur quälenden Manie, die schwarzen Schaben zu beobachten, wie sie mit ihren flachen, eiförmigen, gepanzerten Körpern aus den Winkeln und Nischen gekrochen kamen, die Köpfe unter den großen Halsschilden verborgen, die Fühler lang und borstenförmig vorstreckend. Ihr Anblick versetzte ihn in Raserei, die von Mal zu Mal heftiger wurde. Er zertrat die Tierchen mit den Füßen, zerquetschte sie zwischen den Fingern und legte Köder aus – in Braunbier getränkte Lappen, für die er seinem Wärter horrende Bestechungsgelder bezahlte –, in der Hoffnung, dass die Käfer während der Dunkelheit unter dem Zwang ihrer Triebe der Geruchsspur folgen würden. Und wirklich, wenn er bei Nacht die Lappen fortnahm, entdeckte er im Schein seiner Kerze ein tausendfaches Gewimmel, auf das er in Anfällen unbeherrschbarer Genugtuung mit der flachen Hand einschlug, bis der Schmerz ihm Einhalt gebot. Doch welche List und Energie er bei der Verfolgung der Plage auch aufwandte, es war vergebens: Mit jeder Schabe, die er tötete, schien ein Dutzend neuer Larven aus den Eiern zu schlüpfen, um sich allüberall in der Zelle einzunisten.
    Eines Morgens rasselten plötzlich Schlüssel, die Kerkertür ging auf, und herein kam seine Frau.
    »Nanette!«, rief Diderot und sprang von seiner Pritsche auf, während der Wärter die Zellentür wieder absperrte. Seit dem Tag, da er sich in ihr hübsches Gesicht verliebte, hatte er sich nicht mehr so heftig gefreut, sie zu sehen: Nach dem Besuch des Jesuiten und drei Wochen Einzelhaft war sie das erste menschliche Wesen, das ihn besuchte.
    »Wie du aussiehst!«, rief sie und schlug die Hände über demKopf zusammen. »Dreckig wie ein Kloakenreiniger! Gibt es hier kein Wasser?«
    »Willst du mich nicht küssen?«
    »In was für einem Loch du haust! Nicht mal Tisch und Stuhl! Wenn dich dein Vater sehen könnte! Schämst du dich nicht?« Er ließ die Arme sinken. Ihr Blick, ihre Miene, ihre Stimme – alles sagte ihm, dass ihr nicht nach Zärtlichkeiten zumute war. Ernüchtert beschloss er, das Thema zu wechseln.
    »Hast du gehört, was mit der Enzyklopädie wird?«
    »Deine Sorgen möchte ich haben! Statt dich nach deinem Kind zu erkundigen, fragst du nach deinen Büchern! Als wäre das Unglück noch nicht groß genug!«
    »Wie geht es Didier?«, fragte er schuldbewusst. »Was macht sein Husten?«
    »In Ohnmacht bin ich gefallen, als ich die Wahrheit erfuhr. Mein Mann im Gefängnis! Wie ein Verbrecher! Und mir hast du gesagt, du gehst zum Essen aus! Du hast mich angelogen!«
    »Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.«
    »Daran solltest du lieber denken, wenn du dein Schmuddelzeug schreibst! Zum Generalleutnant der Polizei bin ich gerannt, auf Knien habe ich ihn angefleht, dass er dich freilässt. Aber er kann nichts für dich tun.«
    »Sprich mit d’Alembert! Er kennt wichtige Leute, vielleicht können sie helfen.«
    »Wichtigere Leute als den Generalleutnant? Er hat gesagt, ich soll schauen, ob ich unter deinen Papieren eine weiße Taube finde. Was weiß ich denn von deinen Papieren?« Plötzlich hielt sie in ihrem Redeschwall inne. »Weiße Taube – was hat er damit eigentlich gemeint?«
    Diderot zuckte die Schultern.
    Voller Misstrauen schaute sie ihn an. »Hast du nur Büchergeschrieben? Oder hast du noch mehr verbrochen?« Ihr Blick wurde so eindringlich, dass sie fast schielte. »Hast du vielleicht was geklaut? Oder jemanden umgebracht? Sag die Wahrheit!«
    Diderot gab keine Antwort. Er sah nur ihr hübsches, vollkommen dummes Gesicht. War es wirklich möglich, dass er sich vor einer Minute noch danach gesehnt hatte, sie in die Arme zu schließen und zu küssen?
    »Wann ist dein Prozess?«, fragte sie.
    »Keine Ahnung. Manche Gefangene sind schon seit Jahren hier und warten immer noch auf die Anklage.«
    »Jahre? Bist du verrückt geworden?« Sie fasste sich an den Bauch, der sich unter ihren Röcken wölbte. »Im Winter kommt das nächste Kind. Willst du, dass wir verhungern?«
    »Niemand wird verhungern. Ihr habt ja Le Brétons Wechsel.«
    »Das glaubst du!«, schnaubte Nanette. »Der Mistkerl zahlt uns keinen Sou! Er hat den Wechsel gekündigt.«
    »Das ist nicht möglich! Wir haben einen Vertrag!«
    »Und ob das möglich ist! Der Herr Verleger lässt sich in seiner Sänfte quer durch Paris tragen und schlägt überall Krach wegen deiner Verhaftung, aber uns

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