Die Philosophin
verbreiteten. Um sich zu betäuben, nahmen die Männer immer wieder einen kräftigen Schluck Wein aus ihren Flaschen, und zwischendurch schlugen sie mit ihren Winkelhaken nach den Katzen, von denen es in den filzigen Papierabfällen nur so wimmelte.
Le Bréton verfolgte ein ehrgeiziges Ziel. Er wollte mit der Enzyklopädie noch glänzendere Geschäfte als mit dem Hofalmanach machen, den er als erster ordentlicher Buchdrucker des Königs in Auftrag hatte. Dieser Adelskalender trug ihm dreißigtausend Livres jährlicher Rente ein – mehr, als die
Odyssee
und die Bibel zusammen. Um sein Ziel zu erreichen, achtete Le Bréton bei der Enzyklopädie wie beim Almanach auf beste Qualität bei Druck und Satz. Zu stark geschwärzte oder verunreinigte Seiten musterte er ebenso aus wie zu blass geratene, die kaum noch zu lesen waren. Außerdem hatte er ein ausgeklügeltes System entwickelt, das ihm ermöglichte, die Enzyklopädie in ganz Frankreich anzubieten. Er selbst verkaufte Subskriptionen an die Buchhändler, und die Buchhändler verkauften sie an die einzelnen Kunden, wobei er den Buchhändlern, um sie zu besonderen Anstrengungen zu bewegen, erhebliche Anteile am Erlös zubilligte, gestaffelt nach der Höhe ihrer Umsätze. Seine größte Hoffnung aber setzte Le Bréton auf die Werbung, welche die Jesuiten mit ihren Angriffen auf die Enzyklopädie für das Werk betrieben: Diese Angriffe würden nach der Auslieferung des ersten Bandes so sicher erfolgen wie das Amen in der Kirche.
Sorge bereitete dem Verleger nur die Beschaffung der Arbeitskräfte. Männer, die Wasser aus dem Brunnen ziehenkonnten, gab es genug, nicht aber solche, die in der Lage waren, den Pressbengel zu bedienen. Drucken war ein Wandergewerbe – die Männer gingen dahin, wo sie Arbeit fanden, sodass sie den größten Teil ihres Lebens auf der Landstraße verbrachten. Um Arbeitskräfte in der nötigen Menge zu rekrutieren, hatte Le Bréton eine Armee von Werbeagenten unter Vertrag genommen, die sich über das ganze Königreich verteilten: einen Buchhändler in Marseille, der für ihn die Wirtshäuser der Hafenstadt durchstreifte, einen Beamten in Straßburg, einen ehemaligen Schmuggler in Dijon, einen Fuhrhändler und Schriftgießer in Lyon … Sie alle lockten Drucker, die einen brauchbaren Eindruck machten, mit einem üppigen Reisegeld nach Paris.
Während im Erdgeschoss unter Le Brétons Aufsicht die Druckballen eingefärbt wurden, um die Presse für einen neuen Bogen vorzubereiten, empfing Diderot in seinem Redaktionsbüro einen wichtigen Gast aus Deutschland. Melchior Grimm, so sein Name, war Journalist und verdiente sein Geld damit, dass er die Königs- und Fürstenhöfe Europas über das geistige Leben in der französischen Hauptstadt unterrichtete. Die neue Ausgabe seiner bereits berühmten
Litterarischen Korrespondenz
wollte er ausschließlich dem Erscheinen der Enzyklopädie widmen.
»Wie wollen Sie, Monsieur Diderot«, fragte er, kaum dass er seinen Dreispitz abgelegt hatte, »in einem so rückständigen Staat wie Frankreich ein so aufklärerisches Werk publizieren? In kaum einem Land hat die Zensur größere Vollmachten als hier bei Ihnen.«
Der Abbé de Prades, ein junger Doktor der Theologie und seit wenigen Monaten Mitarbeiter der Enzyklopädie, blickte mit seinem mageren, pockennarbigen Gesicht vom Schreibtischauf, wo er gerade einen Text redigierte, während Diderot seinem Gast ein Glas Wein einschenkte.
»Manchmal«, erwiderte der Herausgeber mit einem Lächeln, »muss man die Menschen in die Irre leiten, um die Wahrheit zu verbreiten.«
»Ich bilde mir ein, Ihre Sprache einigermaßen zu sprechen, doch das verstehe ich nicht.«
»Täten Sie es, so hätte ich etwas falsch gemacht.« Diderot setzte die Flasche ab, griff nach einem Exemplar der Enzyklopädie und schlug den Band auf. »Nehmen Sie zum Beispiel diesen Artikel hier: ›Anthropophagie‹.«
»Über ›Menschenfresserei‹?«, fragte sein Gast verwundert. Diderot genoss einen Moment das Unverständnis in Grimms Gesicht, bevor er ihm Aufklärung verschaffte.
»Sehen Sie hier den kleinen Pfeil? Er führt zu den eigentlichen Aussagen und Thesen, um die es uns geht.«
»Siehe ›Eucharistie‹, ›Kommunion‹, ›Altar‹«, murmelte Grimm. Plötzlich schien er zu begreifen. »Mein Gott, sind Sie des Teufels? Wenn das die Zensoren entdecken!«
»Die Gefahr ist nicht allzu groß«, meldete sich de Prades zu Wort. »Bei meinem Rigorosum haben die Herren Professoren so tief
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