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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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schämte sie sich. Hatte sie sich in Robert getäuscht? Ihm Unrecht getan? Weil sie dem Tratsch und Klatsch im Haus blindlings vertraut hatte, statt sich ihr eigenes Urteil zu bilden?
    »Bitte«, sagte er leise. »Es war immer mein größter Wunsch, zu lernen und zu studieren. Aber ich habe nie die Möglichkeit dazu gehabt.«
    »Na gut«, sagte Sophie. »Aber du musst mir versprechen, keine Flecken und Eselsohren zu machen.«
    »Versprochen!«, rief er und strahlte.
    So behutsam, als wäre es ein Säugling, nahm er das Buch und barg es an seiner Brust. Sophie musste lächeln. Hatte sie einen neuen Freund gewonnen? Für sich und für die Enzyklopädie? »Ach ja«, sagte er über die Schulter, als er ihre Kammer verließ. »Monsieur lässt dich rufen. Du möchtest bitte in den Salon kommen. Jetzt gleich!«

6
     
    Monsieur Poisson erwartete Sophie in Gesellschaft einer fremden Frau, mit der er angeregt plauderte. Ihr Teint war von blendendem Weiß, ihre Lippen schimmerten blassrosa, und ihre Augen waren von einer unbestimmbaren Farbe, eine Mischung von Blau und Schwarz. Als Sophie den Raum betrat, unterbrach sie das Gespräch mit Monsieur Poisson und drehte sich zu ihr um.
    »So, du bist also Sophie.«
    Mit einem Lächeln, das makellos weiße Zähne offenbarte und zwei Grübchen auf ihre Wangen zauberte, trat sie ihr entgegen, wobei die Bewegungen ihres Körpers sowohl Lebendigkeit als auch Grazie auszudrücken schienen. Sophie blickte sie an wie eine Erscheinung: Noch nie in ihrem Leben hatte sie eine so schöne Frau gesehen.
    »Das ist meine Schwester«, sagte Monsieur Poisson, »Marquise de …«
    »Der Name spielt keine Rolle«, unterbrach sie ihn.
    »Ich hatte zufällig von dir erzählt, und Madame, ich will sagen, meine Schwester ist heute eigens gekommen, um dich anzuschauen, beziehungsweise, um dich kennen zu lernen.« Poisson hielt in seiner Rede inne, unschlüssig, als wisse er nicht, was er weiter sagen oder tun solle, während seine Wangen sich rosa färbten. Sophie fiel die Ähnlichkeit der Geschwister auf. Bevor er füllig geworden war, musste Monsieur von ebenso edler Schönheit gewesen sein wie seine Schwester.
    Poisson räusperte sich und setzte erneut an zu sprechen, doch klappte sein Mund nur einmal wie bei einem Fisch auf undzu. »Ich denke, ich lasse euch besser allein«, sagte er dann unvermittelt, und ohne eine weitere Erklärung verließ er den Salon.
    »Ich freue mich wirklich, dich zu sehen«, sagte die fremde Dame, als die Tür sich schloss. »Mein Bruder hat dich in den höchsten Tönen gepriesen. Nun, ich muss gestehen, er hat nicht übertrieben.«
    »Mit Verlaub«, erwiderte Sophie irritiert und machte einen Knicks, wie man es ihr beigebracht hatte.
    Die Fremde musterte sie aufmerksam mit ihren schwarzblauen Augen, während sie einmal im Kreis um sie herumging. Unter den prüfenden Blicken fühlte Sophie sich zunehmend unbehaglich. Was wollte man von ihr?
    »Eine herkömmliche Schönheit bist du nicht«, sagte die Frau, mehr zu sich selbst als an Sophie gewandt. »Aber das ist kein Fehler, Allerweltsschönheiten gibt es mehr als genug. Du hast das gewisse Etwas. Die roten Haare, die Sommersprossen … Sehr hübsch, sehr reizvoll – eine richtige Raubkatze.«
    »Wenn Sie mir sagen würden, womit ich Ihnen dienen kann?«
    »Warum nicht?« Die Frau lachte. »Also hör zu, ich will dir einen Vorschlag machen. Ich möchte, dass du in Zukunft für mich arbeitest. Mein Bruder hat dich lang genug für sich allein gehabt.«
    »Um Gottes willen«, erschrak Sophie. »Ist Monsieur nicht mehr mit mir zufrieden?«
    »Davon kann keine Rede sein.«
    »Aber warum soll ich dann fort? Ich fühle mich bei Monsieur sehr wohl.«
    »Daran habe ich keinen Zweifel. Mein Bruder ist ja auch ein Mensch, mit dem man auskommen kann. Wenn ich mir selbst allerdings manchmal wünschen würde, er träte ein wenigenergischer auf.« Plötzlich ernst, sagte sie: »Ich unterhalte ein kleines Lustschloss bei Versailles. Dort wohnen lauter hübsche junge Mädchen wie du. Ich würde mich freuen, wenn du bald dazu gehören würdest, mein Kind.«
    »Ein Lustschloss?«, fragte Sophie unsicher. »Ihr Vorschlag ehrt mich, Madame – aber … aber was wird Monsieur dazu sagen?«
    »Darum mach dir keine Gedanken! Ich habe schon mit meinem Bruder gesprochen. Er lässt dich zwar nur ungern gehen, aber im höheren Interesse ist er grundsätzlich bereit …« Sie unterbrach sich und nahm Sophies Hand. »Komm mit mir, es wird dir bei uns

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