Die Philosophin
gefallen. Ihr Mädchen habt keine andere Aufgabe, als einen hohen Gast zu verwöhnen, der uns hin und wieder besucht.«
Mit jedem Wort, das die fremde Dame sagte, wuchs Sophies Verwirrung. Was war das für ein seltsames Angebot? Sie hatte keine Vorstellung, was es bedeuten konnte, und wusste darum nicht, was sie erwidern sollte. »Und was muss ich dabei tun?«, fragte sie schließlich, um irgendetwas zu sagen.
»Das habe ich doch eben erklärt.« Wieder lachte die Frau.
»Es geht darum, einem hohen Herrn den Aufenthalt bei uns zu versüßen – ihm ein bisschen angenehm sein, seine Wünsche erfüllen, ihn zerstreuen, damit er sich von seinen Geschäften erholt. Du weißt doch sicher, wie man einen Mann glücklich macht, oder?« Sie zwinkerte Sophie zu. »Es soll dein Schaden nicht sein.«
Als Sophie dieses Zwinkern sah, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. So hatte ihr schon einmal jemand zugezwinkert – damals im Faubourg Saint-Marceau. Eine dicke, grell geschminkte Frau hatte sie bei ihrer Arbeit in der Tabakschenke angesprochen, eine Matrone, die in der Nachbarschaft einöffentliches Haus betrieb und alle Mädchen, die außer einem hübschen Gesicht eigene Schuhe und einen weißen Unterrock besaßen, zu überreden versuchte, in ihrem Etablissement zu arbeiten. Sophie konnte es kaum glauben: Sollte die Schwester ihres Herrn eine solche Matrone sein? Ihr Lustschloss ein Freudenhaus?
Ohne weiter über die Antwort nachzudenken, schüttelte sie den Kopf. »Nein«, sagte sie, »ich möchte lieber in Monsieurs Diensten bleiben.«
Sie wollte der anderen ihre Hand entziehen, doch die hielt sie fest.
»Sei nicht dumm! Du wirst es gut bei mir haben. Du bekommst Schmuck und herrliche Kleider und brauchst nie wieder zu arbeiten.«
Sophie schüttelte erneut den Kopf, obwohl sie sich immer unsicherer fühlte.
»Hör auf, dich zu zieren!«, sagte die Dame, und ihr Ton wurde mit einem Mal scharf. »Oder sehnst du dich vielleicht zurück nach Saint-Marceau? Da kommst du doch her, nicht wahr?«
»Das wissen Sie?«, fragte Sophie und spürte, wie ihr vor lauter Unsicherheit plötzlich Tränen in die Augen schossen. Sie biss sich auf die Lippen, um sich nichts anmerken zu lassen, aber das machte ihre Unsicherheit nur noch schlimmer.
»Natürlich weiß ich das, und auch, dass du zuletzt im Café ›Procope‹ gearbeitet hast. Glaubst du, ich hole mir jemanden ins Haus, ohne zu wissen, mit wem ich es zu tun habe?« Sophie schluckte, um ihre Tränen zu unterdrücken.
»Ich warne dich!« Die blauschwarzen Augen, die eben noch so freundlich zu lächeln schienen, blickten jetzt hart und kalt auf sie herab. Mit einer heftigen Bewegung ließ dieFrau Sophies Hand los. »Ein Wort von mir, und mein Bruder wirft dich auf die Straße. Also entscheide dich! Entweder du kommst mit mir, oder du kannst sehen, wo du bleibst.«
Sophie schlug die Augen nieder. Tausend Gedanken stürzten auf sie ein. Sie sah wieder ein möbliertes Zimmer vor sich, den Dreck und den Müll, der sich im Treppenhaus türmte, roch den fauligen Gestank, spürte die feuchte, zugige Kälte, die selbst im Sommer nicht aus den Mauern wich. Und sie sah die Gäste in der Tabakschenke, die Gerber und Kutscher und Latrinenreiniger, die mit schmutzigen Händen nach ihr griffen, roch ihren Schweiß und ihren Atem, spürte ihre Leiber, die sich gierig an sie drängten.
Während die Tränen an ihren Wangen herabflossen, schüttelte Sophie zum dritten Mal den Kopf. »Bitte verzeihen Sie mir, Madame, aber ich kann nicht mit Ihnen kommen.«
»Du kannst sehr wohl – du willst nur nicht!«
»Nein, Madame, ich kann nicht.« Sophies Stimme zitterte, aber ihr Entschluss stand fest. »Mein Herz … mein Herz gehört schon einem Mann.«
Als sie den Blick hob, erwartete sie, in ein wütendes Gesicht zu sehen. Doch alle Härte, alle Kälte war aus den blauschwarzen Augen gewichen. Nachdenklich, fast liebevoll schaute die fremde Dame sie an, und während sie langsam, kaum merklich nickte, schien ihr Blick hinter einem feuchten Glanz zu verschwinden.
»Ich glaube, ich weiß, was du fühlst«, sagte sie schließlich mit einer Stimme, die wie aus weiter Ferne klang. »Ich habe auch einmal so für einen Mann empfunden, vor vielen, vielen Jahren, genauso wie du, aber ich habe mich anders entschieden.«
Sie nahm Sophies Hand und drückte sie fest, ihr Gesicht war voller Mitgefühl. »Ich wünsche dir alles Glück der Welt.«
Dann wandte sie sich ab und ging. In der Tür drehte sie
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