Die Philosophin
haben die Enzyklopädie dem Comte d’Argenson gewidmet, dem Vizekanzler und Siegelbewahrer des Königs.«
»Und der hat sich nicht geweigert«, fragte die Königin, »ein sogotteslästerliches Werk unter seinen Schutz zu nehmen? Sie hatten mir doch berichtet«, wandte sie sich an ihren Beichtvater, »dass es darin von Angriffen auf unsere heilige Kirche nur so wimmelt.«
War das seine Chance? Radominsky richtete seinen Blick fest auf das welke Gesicht seiner Königin und sagte: »Meines Wissens hatte der Comte d’Argenson die Zueignung bereits abgelehnt, doch nach einer Unterredung mit Ihrer Freundin, der Marquise de Pompadour, hat er sich anders besonnen.« »So?«, fragte Malesherbes überrascht. »Das ist das Neueste, was ich höre!«
»Ich war persönlich bei der Unterredung zugegen«, beteuerte Radominsky, fest darauf vertrauend, dass Gott ihm diese Korrektur der Wahrheit im Dienst der guten Sache verzeihen würde. »Erst auf Veranlassung der Marquise hat der Vizekanzler den Enzyklopädisten seine Erlaubnis erteilt.«
»Das ist ja wirklich unerhört!« In ihrer Aufregung sprang die Königin von ihrem Sessel auf, sodass der Hofalmanach zu Boden fiel und dabei fast ihren Schoßhund Tintamarre erschlug, einen kleinen graubraunen Mops, der zu ihren Füßen geschlummert hatte und nun kläffend ans andere Ende des Raumes floh. »Monsieur de Malesherbes, was gedenken Sie zu unternehmen?«
»Wie gesagt, mir sind die Hände gebunden, Majestät.« Das Lächeln auf den Lippen des Zensors verzog sich zu einer verlegenen Grimasse, doch als die Königin den Blick nicht von ihm ließ, fügte er hinzu: »Es sei denn, ich bekomme Beweise, die ein Verbot des fraglichen Werkes im Interesse des Staates unumgänglich machen.«
Bereits am folgenden Tag scharte Pater Radominsky seine Truppen in der Jesuitenkirche Saint-Paul-Saint-Louis umsich: Kommissare und Nachtbrigadiers, Inspektoren, Sergeanten und gemeine Spitzel.
»Besorgt mir alles, was ihr von den Philosophen zu hören oder zu lesen bekommt«, rief er von der Kanzel herab. »Ich will jeden Artikel, ob handschriftlich oder gedruckt, jeden Gedanken, den die Aufrührer verbreiten. Kein Buch, kein Satz, kein Wort – nicht einmal ein Semikolon darf uns entgehen!«
3
Und Sophie? Glückliche Sophie!
Sie war jetzt zweiundzwanzig Jahre alt, und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, jenem Labyrinth, in das sie sich so oft verirrt hatte, für immer entkommen zu sein. Zusammen mit Diderot erlebte sie eine Zeit, die ihr wie im Märchen erschien, als hätte ihr Vater Dorval eine Geschichte erfunden, und sie war das Aschenputtel, dessen Leben eine gute Fee wie mit einem Zauberstab verwandelt hatte. Obwohl sie auch weiterhin für jedes Stück Brot, das sie aß, für jeden Schluck Wasser, den sie trank, arbeiten musste wie fast alle anderen Menschen sonst auf dieser Welt, empfand sie jeden neuen Tag, an dem sie aufwachte, wie eine wunderbare Verheißung, gleichgültig, ob es regnete oder schneite oder die Sonne vom Himmel schien. Fremde Menschen, die ihr auf der Straße begegneten, lächelten ihr zu, auch wenn sie sie nie zuvor gesehen hatten.
War dies das Glück? Hatte sie tatsächlich die Lichtung des Labyrinths erreicht? Sophie wusste es nicht. Sie spürte nur:Es war der Aufbruch zu einem neuen, anderen Leben, zu einem Leben, von dem sie keinerlei Vorstellung besaß. Sie fühlte sich wie am Beginn einer großen Reise, erfüllt von grenzenloser Sehnsucht, die seltsamerweise immer stärker wurde, je weiter sie sich auf dieser Reise vom alten Ufer fortbewegte und sich auf das offene Meer des Ungewissen vorwagte.
Kaum ein Tag verging, ohne dass sie Diderot sah und in ihren Armen hielt. Meistens trafen sie sich in Le Brétons Verlag, wo Diderot ein Arbeitszimmer hatte, mit einer eigenen Schlafstatt, die durch einen Vorhang vom übrigen Raum getrennt war. Doch wann immer sie konnten, verließen sie das Haus, um sich unter freiem Himmel zu lieben. Sie liebten sich am Ufer der Seine, im Park der Tuilerien, im Bois de Boulogne, und an den Sonntagen zogen sie hinaus in die Faubourgs vor den Toren der großen Stadt, nach Montmartre oder Vaugirard, wo sie Wein tranken und barfuß im Kreis tanzten, bis ihnen schwindlig wurde. Sobald Sophie ihren Geliebten sah, ja nur an ihn dachte, rief ihr Kleinod nach ihm, und wenn er sie verließ, hörte es nicht auf, zärtlich von ihm zu träumen. Dieses herrliche Gefühl der Zugehörigkeit, das auch in den Stunden fortbestand, da
Weitere Kostenlose Bücher