Die Philosophin
mit
summa cum laude
promoviert.«
»Und ob das möglich ist! Sie sind ihm auf die Schliche gekommen. Man wirft ihm Verteidigung der natürlichen Religion und sensualistische Irrlehren vor.«
»Ist das alles?« Le Bréton atmete auf.
»Das ist eine ernste Sache«, erwiderte Grimm. »Sie behaupten, dass de Prades die Wunder Jesu leugnet.«
Diderot zuckte zusammen. »Wer sagt das?«
»Der Dekan der Fakultät. Die Professoren sind außer sich, sie haben sich bis auf die Knochen blamiert. Der Ruf der Sorbonne steht auf dem Spiel.«
»Wo ist de Prades jetzt?«, fragte d’Alembert, sichtlich nervös.
»Er hat sich irgendwo außerhalb von Paris versteckt.«
»Um Gottes willen! Steht es schon so schlimm, dass sie ihn suchen?«
»Noch viel schlimmer! Die Jesuiten verbreiten das Gerücht, dass hinter de Prades ein ganzes Komplott steckt.«
»Ein Komplott?« Le Bréton stellte sein Glas ab, sein Gesicht war plötzlich ernst.
»Ja, sie reden von einer Verschwörung.«
»Und aus wem soll die bestehen?«
»Aus den Herausgebern und den Autoren der Enzyklopädie. Als Beweis führen sie Parallelen zwischen der Dissertation und einem Artikel im nächsten Band des Wörterbuchs an.«
»Woher zum Teufel wollen sie wissen, was darin steht? Der zweite Band ist doch noch gar nicht erschienen!«
»Was weiß ich? Auf jeden Fall sind sie dadurch auf die Idee gekommen, sich das ›Himmlische Jerusalem‹ genauer anzuschauen. Und dabei sind ihnen offenbar die Augen übergelaufen.«
»Sie schießen auf de Prades, um uns zu treffen.« D’Alembert wurde blass, und seine braunen Augen weiteten sich, während er Diderot vorwurfsvoll ansah. »Ich habe gleich gewusst, es ist unverantwortlich, einen so wichtigen Beitrag einem so unerfahrenen Mann wie de Prades zu überlassen.«
Le Bréton drehte sich zu Diderot um, der schuldbewusst schwieg und im Stillen bereits seinen Leichtsinn verfluchte, den Text mit Sophies Ergänzungen in den Druck gegeben zu haben, statt ihn zu entschärfen.
»Von was für einem Artikel ist hier die ganze Zeit die Rede?«, fragte der Verleger. »Ich bin wohl der Einzige, der nicht Bescheid weiß. Aber was stehen Sie hier rum? Tun Sie was, verdammt noch mal! Es muss etwas geschehen!«
12
Noch in derselben Nacht schrieb Diderot einen Brief an Madame de Pompadour.
Eine Gesellschaft arbeitsamer Männer, die keinen anderen Anspruch erhebt, als anderen nützlich zu sein, widmet sich seit mehreren Jahren der Redaktion eines Wörterbuchs, welches ein Depot der menschlichen Kenntnisse werden soll. Das Gebäude erhebt sich, und Europa bewundert es. Allein, es wird von obskuren Verfolgern angegriffen, die ihm umso gefährlichere Stöße versetzen, als seine Mitarbeiter es verschmähen, die Verdächtigungen zurückzuweisen. Indessen beginnt man, unsere Mäßigung als Schwäche auszulegen … Wir wollen keine Verteidiger, wir wollen nur Richter. Seien Sie der unsrige, Madame …
Während Diderot auf die Antwort der Marquise wartete, holten seine Widersacher zum großen Gegenschlag aus. Kaum war am Neujahrstag der zweite Band der Enzyklopädie freigegeben worden, nahm das »Journal de Trévoux«, die Zeitschrift der Jesuiten, die keine andere Aufgabe hatte, als gegendie Philosophen zu hetzen, den Artikel »Gewissheit« zum Anlass, öffentlich zu fragen, ob die Zensur das Wörterbuch überhaupt prüfe, bevor sie das Imprimatur erteile. Mit inquisitorischer Strenge wies das Journal den Herausgebern und Autoren der Enzyklopädie sämtliche Irrlehren nach, die sie bisher verbreitet hatten: dass die Vorrede die Prinzipien der Kirchenväter kritisiere; dass sowohl den Königen wie den Heiligen der ihnen gebührende Platz in dem Werk verweigert werde; dass der Artikel
»Aius Locutius«
die Redefreiheit fordere und der Artikel »Autorität« die Grundfesten des Staates untergrabe.
»Die Hölle hat ihr Gift ausgespien«, rief der Pariser Erzbischof von der Kanzel von Notre-Dame, »Tropfen um Tropfen.«
Wie ein Strafgericht brachen die Angriffe über die Philosophen herein. Am neunundzwanzigsten Januar verdammte die Generalversammlung der Bischöfe das Wörterbuch. In ganz Paris wurden Plakate angeschlagen, um die Heiligkeit der Wunder Jesu zu bestätigen und die Ketzereien der Enzyklopädisten zu verurteilen – man warf ihnen Gotteslästerung, Aufruhr und Ruchlosigkeit vor. Jetzt schaltete sich auch das Pariser Parlament ein, das oberste Gericht im Land. Vergessen war der jahrzehntealte Streit zwischen den Jansenisten,
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