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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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gehofft, ein Handwerk zu erlernen, aber um zu überleben, hatte er arbeiten müssen, erst als Bursche bei einem Offizier, dann in einem Jesuitenkolleg als Gärtner und Pförtner. Die Patres hatten ihn von seiner Frau getrennt, die er kurz zuvor geheiratet hatte, und sie als Dienstmagd in die Provinz geschickt. Seitdem hasste er die Jesuiten und war zum glühenden Jansenisten geworden, der jeden Morgen die Messe besuchte, auch wenn er sich am Vorabend bis zur Besinnungslosigkeit betrunken hatte. Wenn er mit Tränen in den dunklen Augen flüsterte, sein größter Wunsch sei, einmal den König zu treffen, damitdieser erfahre, wie viel Unrecht in seinem Land geschehe, überkam Sophie solches Mitleid, dass sie ihn am liebsten in den Arm genommen hätte.
    Aber was sollte sie mit Robert? Sie wollte Diderot!
    Es hörte gerade auf zu regnen, als sie den Hügel von Sainte-Geneviève erreichte. Sie überquerte den Vorplatz der Kirche und bog in die Rue de l’Estrapade ein. Im Erdgeschoss des hohen Gebäudes befand sich ein Kurzwarenladen. Sophie hatte Diderot nur ein einziges Mal hier besucht, als seine Frau auf dem Land gewesen war. Sie hatte das Zimmer sehen wollen, in dem er arbeitete, doch er war so nervös gewesen, dass sie den Besuch nie wiederholt hatte.
    Durch den Hintereingang betrat sie das Haus und eilte die Treppen hinauf. Vor seiner Tür blieb sie stehen und holte Luft. Er sollte nicht merken, in welcher Verfassung sie war. Dann öffnete sie die Tür.
    »Du?« Er stand über eine offene Kiste gebeugt, einen Packen Bücher in der Hand, und blickte sie an wie ein Gespenst.
    »Um Himmels willen, was machst du hier? Wenn man dich sieht!«
    Sie überhörte seine Bemerkung. »Wohnt hier der große Herrscher Mongagul?«, fragte sie, so unbekümmert sie konnte.
    »Ach Sophie, was soll denn das?«
    »Ich wollte mich nur erkundigen, ob er Mirzoza ganz vergessen hat? Sie hat ihn seit Wochen nicht mehr gesehen und weiß gar nicht mehr, wie ein Kuss von ihm schmeckt.«
    Sie ging auf ihn zu, um ihn zu umarmen, doch er rührte sich nicht.
    »Du weißt doch selbst, was los ist«, sagte er und fuhr fort zu packen.
    »Komm, leg deine Bücher hin, nur für einen Augenblick! Ich bleibe nicht lange.«
    »Ich habe keine Zeit, wirklich nicht.«
    »Nicht mal für einen Kuss? Hat man dafür nicht immer Zeit?« Er ließ die Bücher in die Kiste fallen und reichte ihr einen Brief.
    »Da, lies selbst! Die Antwort der Pompadour.«
    Sophie nahm das Schreiben und überflog die wenigen Zeilen. Als sie ans Ende gelangt war, kehrte sie noch einmal zu der entscheidenden Stelle zurück:
    Ich vermag in der Sache des enzyklopädischen Wörterbuchs nichts zu tun. Man behauptet, das Werk enthalte Grundsätze, die der Religion und der Autorität des Königs widersprechen. Verhält es sich so, dann muss es verbrannt werden.
    »Aber, das ist ja fürchterlich …«
    »Begreifst du mich jetzt?«, fragte er.
    Entgeistert ließ Sophie das Schreiben sinken. Ihre Wut war erloschen. Sie empfand nur noch Scham.
    »Ich könnte mich ohrfeigen«, sagte sie. »Es ist alles meine Schuld. Wenn ich nicht …«
    »Nein«, widersprach er, »ich bin der Herausgeber. Ich habe die Verantwortung, wer welche Artikel schreibt – und wer sie redigiert.«
    »Trotzdem, ich habe sie erst auf die Fährte gebracht. Ohne meine Zusätze hätte kein Mensch an dem Artikel Anstoß genommen.«
    »Das macht keinen Unterschied. Was geschehen ist, ist geschehen.« Er streichelte ihre Wange, und seine Stimme klang endlich wieder so zärtlich wie früher. »Es tut mir Leid, wenn ich in letzter Zeit …«
    »Psssst«, sagte sie, »ich weiß doch, was alles passiert ist!«
    »Trotzdem, ich hätte es nicht an dir auslassen dürfen«, sagte er und beugte sich zu ihr. »Das war gemein und ekelhaft und widerwärtig und …«
    Sophie schloss die Augen. Sie spürte seine Lippen auf ihrem Gesicht, während er, zärtliche Entschuldigungen flüsternd, die Regentropfen von ihrer Haut und ihren Haaren küsste.
    »Mag Mirzoza den Sultan trotzdem noch leiden?«
    »Was ist das für eine dumme Frage? Er muss nur aufpassen, dass er sich nicht nass macht.«
    Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, und voller Leidenschaft erwiderte sie seinen Kuss. Zum ersten Mal seit langer Zeit begannen die Mücken in ihrem Nacken wieder zu summen.
    »Aber sag, wozu packst du Bücher?«, fragte sie, als ihre Lippen sich getrennt hatten. »Willst du fliehen?«
    »Voltaire hat mich zu sich nach Preußen eingeladen.« Er nahm ihr

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