Die Philosophin
die mit dem Parlament gegen den König opponierten, und den Jesuiten, die auf Seite der Krone standen – der gemeinsame Feind einte die Widersacher wie ein himmlischer Schlachtruf. Die Arretierung de Prades’ wurde angeordnet. Der Abbé protestierte, doch vergebens. Um seine Haut zu retten, floh er schließlich außer Landes, erst nach Holland, dann nach Berlin, wo er mit Voltaires Hilfe Zuflucht in Sanssouci fand, am Hof des Preußenkönigs Friedrich II.
»Hat die Pompadour endlich geantwortet?«, wollte Le Bréton eine Woche später wissen.
Diderot schüttelte den Kopf.
»Dann muss ich wohl nach Canossa«, seufzte der Verleger.
»Jetzt kann uns nur noch Malesherbes helfen.«
»Soll ich Sie begleiten?«
»Bleiben Sie um Himmels willen, wo Sie sind! Sie haben schon genug Schaden angerichtet!«
Zum Zeichen seiner Bußfertigkeit verzichtete Le Bréton sogar auf seine Sänfte, als er sich auf den Weg machte. Es gab nur ein Argument, um den Staatsrat Malesherbes gnädig zu stimmen: Geld. Wenn die Enzyklopädie verboten würde, bekäme ganz Paris die Folgen zu spüren – Hunderte von Menschen würden ihre Arbeit verlieren.
Doch der Direktor der königlichen Hofbibliothek und Oberaufseher des Buchhandels empfing den Verleger nicht einmal. Stattdessen erließ er am siebenten Februar eine Ratsverfügung, in der er die bereits erschienenen Bände des Wörterbuchs offiziell verdammte und die Publikation der weiteren mit sofortiger Wirkung untersagte:
»Seine Majestät hat festgestellt, dass die Enzyklopädie Maximen enthält, die darauf abzielen, die königliche Autorität zu zerstören, den Geist der Unabhängigkeit und Revolte zu befördern und den Irrtum, den Sittenverfall, die Irreligion und den Unglauben zu schüren.«
Totenstille kehrte nun in der Rue de la Harpe ein. Die Druckpressen standen still, die Setzkästen waren verwaist, in den Wasserbecken schwammen faulige Zellulosereste, während die Papierballen in den Lagerräumen sich nutzlos bis zur Decke stapelten. Das Stöhnen und Kreischen der Maschinen schien für immer verstummt, genauso wie das Fluchen derArbeiter. Das ganze Verlagsgebäude wirkte wie ein Geisterhaus, durch das nur ab und zu eine Katze strich.
»Dahinter steckt Rousseau«, erklärte Le Bréton, der wie ein geschlagener General nach der Schlacht die Reste seiner Truppen inspizierte. »Es heißt, Malesherbes habe einen Narren an dem verfluchten Neidhammel gefressen.«
»Unmöglich!«, widersprach Diderot. »Rousseau ist mein Freund, er liebt mich wie ein Bruder.«
»Was will das heißen?«, fragte Le Bréton. »Waren Abel und Kain etwa keine Brüder?«
Ein Laufbursche kam in die Druckerei gestolpert, in der Hand hielt er einen Brief.
»Für Monsieur Diderot! Ihre Frau hat mich geschickt. Sie sagt …«
»Gib schon her!« Während der Laufbursche wieder verschwand, blickte Diderot auf das Kuvert – es war mit einem roten Siegel verschlossen. »Von Madame de Pompadour!«
»Gott sei Dank!«, rief Le Bréton. »Endlich eine gute Nachricht!«
13
»Obacht! Aus dem Weg!«
Mit einem Dutzend fluchender Passanten suchte Sophie in einem Hauseingang Zuflucht, während das Wasser unter den Rädern einer vorüberrasselnden Kutsche aufspritzte. Der verharschte Schnee, der ganz Paris wochenlang wie mit einer Schicht aus grauem Zuckerguss bedeckt hatte, war in einemDauerregen geschmolzen. Ein Bach teilte die Straße in zwei Hälften, sodass man nur hüpfend zur anderen Seite hinübergelangte.
Ohne auf ihre Schuhe und Strümpfe zu achten, eilte Sophie durch das Gewühl. Sie war wütend – wütend und enttäuscht. Eine Woche war Madame Diderot nun schon in Langres, um ihren Schwiegervater zu besuchen, und trotzdem hatte ihr Geliebter keine Zeit für sie. Tag um Tag hatte sie sich beherrscht, jetzt war ihre Geduld am Ende. Und wenn er hundertmal Schwierigkeiten hatte – war das ein Grund, so zu tun, als existiere sie nicht mehr? Seit fünf Wochen, drei Tagen und siebzehn Stunden hatte Sophie ihren Geliebten nicht mehr in sich gespürt, und jede Minute davon empfand sie als eine Minute zu viel. Ihr Kleinod verzehrte sich nicht weniger nach ihm als ihr Herz.
Die freie Zeit verbrachte sie meist mit Robert, dem Leibdiener ihres Herrn. Er hatte die Enzyklopädie inzwischen so gründlich gelesen, dass er manche Artikel auswendig konnte. Er war als Kind eines Bauern geboren, doch sein Vater war bald nach der Geburt des Sohnes verarmt. Robert war darum bei einem Onkel aufgewachsen. Er hatte
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