Die Phrrks
um den Preis monatelangen Dahinsiechens in einer Intensivstation, so lange, bis eine Ärzte-kommission schließlich doch feststellte, daß das Gehirn erloschen war oder daß es wirklich keine Hoff-396
nung mehr gab, und den Gnadentod gewährte.
Nein, er würde hier sterben. Und in Würde. Bei vollem Bewußtsein. Auch den Tod noch erleben.
Konnte es etwas Schöneres geben, als in Frieden von dieser Welt zu scheiden, in dem Bewußtsein, sein Leben vollendet, den Kreis ausgeschritten zu haben?
Er konzentrierte sich auf die Landung, programmierte den Copter für den Rückflug, schnallte den Sauerstoffbehälter auf den Rücken, schloß ihn an, goß den Whisky in die Reserveflasche des Skaphanders, setzte den Helm auf, dann trat er hinaus.
Er mußte seine Augen erst an das Licht gewöhnen, dieses eigentümlich diffuse bläulichgraue Licht, das über das Eisfeld flimmerte und die Spitze des Gipfels umspiegelte. Er stapfte los. Bestimmt knirschte das jahrtausendealte Eis unter seinen Schritten. Er spürte nichts von der Kälte, obwohl hier oben weit über hundert Grad minus herrschen mußten. Hoffentlich kam kein Sturm, bevor er sein Ziel erreichte. Er setzte vorsichtig Fuß vor Fuß, glitt mehr, als daß er ging, über das Eis, das bis kurz unter die Felsspitze reichte.
Er orientierte sich auf dem Kompaß eine Erfindung, auf die er besonders stolz gewesen war nach Westen.
Auf dem Antair ging die Sonne im Westen auf.
Schließlich hatte er die Spitze erreicht. Er scharrte mit dem kleinen Spaten eine Mulde in das Eis, direkt an der Felswand, nur einen Meter unter dem Gipfel.
Der höchste Mensch der Welt, dachte er amüsiert.
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Ein Fall für das »Guinness-Buch der Rekorde«, falls es das noch gab.
Er saß Probe, verbesserte seinen Sitz noch ein wenig, legte dann den Spaten neben sich auf das Eis.
Ein erster roter Schimmer tauchte weit im Westen über den Gipfeln auf, wuchs. Er war ganz ruhig, ge-löst. So ähnlich mußten einst die Alten der Frühzeit empfunden haben, wenn sie sich in die Einsamkeit der Wildnis zurückzogen, um zu sterben. Nur, daß es für ihn kein Abschiedsfest gegeben hatte, weder ri-tuale Tänze noch Kräuterdrogen, die den letzten Weg leichter machen sollten er hatte keine Drogen nötig.
Gewiß, das wäre die Krönung gewesen: jetzt ein letzter Traum. Er kicherte. Das hatte er vorgestern erledigt, und die FREMDEN waren völlig verstört, weil er stundenlang unauffindbar blieb. Aber er hatte den Whisky.
»Prost, Pat, alter Halunke«, sagte er, »letzten Endes bist du doch ein Glückskind.«
Als Junge hatte er davon geträumt, einmal einen Sonnenaufgang auf dem Mount Everest zu erleben.
Nun saß er hier auf einem doppelt so hohen Berg.
Würden sie ihn, wie er in seinem Abschiedsbrief gebeten hatte, nach ihm benennen Mount O'Neill? Er rutschte ein wenig, der Skaphander klebte bereits am ewigen Eis, aber noch ließ er sich losreißen, noch konnte er zum Copter zurückkehren.
»Nein«, sagte er, »hundert Jahre sind genug.« Er 398
zog das Terminal aus der Tasche und gab dem Copter den Befehl zum Abflug, er nickte zufrieden, als der Copter für einen Augenblick vor ihm auftauchte, bevor er in der Tiefe versank. Er lehnte sich an den Felsen, kreuzte die Arme über der Brust, die Hände fast an den Schultern wie der Buddha, den er einst in Raschnapur gesehen hatte. Die Berge hatten jetzt glühende Konturen, jeden Augenblick mußte die Sonne aufgehen. Sein letzter Sonnenaufgang.
»Den letzten, den du sehen kannst«, berichtigte er sich. Er legte die Lippen an das Trinkrohr, nahm einen langen Zug. Er wußte, was kommen würde, er hatte es sich so ausgesucht.
Er würde am Gipfel anfrieren, würde hier sitzen, von Morgenrot zu Morgenrot, bis das Eis ihn ein-schloß, ihn unter sich begrub, zu einem Teil des Berges machte. Die Sonne schickte einen ersten Strahl über den schartigen Horizont. O'Neill begann zu singen.
»From dawn to dawn in all eternity…«
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