Die Phrrks
Taxifahrer, als er das Radio auf dem Tisch neben der Balkontür abgestellt hatte. »Ich hätt' jede Wette gemacht, daß sich keiner herabläßt, so'n alten Apparat zu reparieren, dazu für `n paar Mark. Kann doch kein Geschäft sein, oder? Wer hat denn noch so alte Klamotten? Höchstens sòne…«
»Alte Schachtel wie ich? Wollten Sie das sagen?«
Emma schmunzelte vergnügt. »Hier haben Sie einen Fünfer extra.«
Nachdem sie die Tür hinter ihm geschlossen und die Sicherungskette vorgelegt hatte, holte Emma einen Schraubenzieher, löste die Rückwand des Radios und schraubte hinter dem Loch, das sie vor einem Jahr in die Platte geschnitten hatte, wieder den kleinen Kasten aus Drahtgitter an und polsterte ihn mit Watte.
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»So, Pussy«, sagte sie, »nun kannst du es dir ge-mütlich machen.«
Sie wollte die Rückwand befestigen, doch der Drahtkäfig paßte kaum noch in das Radio, verbog sich, als sie es mit Gewalt versuchte. Emma beugte sich vor, starrte in den offenen Kasten, schloß die Augen, um sich zu erinnern, guckte noch einmal, schüttelte den Kopf, dann ging sie mit zusammenge-preßten Lippen zur Tür und zog sich den Mantel an.
»Alles«, so sagte sie, »muß man sich doch wohl nicht gefallen lassen.«
Am Taxistand warteten zehn Leute, so fuhr sie mit dem Bus ins Zentrum. Sie brauchte lange, bis sie den Laden wiederfand. Er war geschlossen, und es sah so aus, als sei er in den letzten zwanzig Jahren auch nie geöffnet gewesen. Emma hämmerte mit der Faust, dann mit dem Schirmgriff gegen die Tür, vergeblich.
Sie ging zurück zur Hauptstraße, betrat das erste Elektronik-, Hi-Fi- und Fernsehgeschäft und verlangte so energisch nach dem Chef, daß man ihn herbei-rief.
»Wo kann ich mich beschweren?« fragte sie. »Ich hatte mein Radio zur Reparatur weggebracht…«
»Sind Sie nicht zufrieden?« fragte der Geschäfts-führer. »Spielt es nicht?«
»Doch, es spielt, aber ich bin nicht zufrieden.
Ganz und gar nicht! Man hat irgend etwas ausge-wechselt und neues Zeug hineingebaut.«
8
Er erkundigte sich nach Typ und Baujahr; als Emma es ihm sagte, konnte er nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken.
»Das spielt noch?«
»Wieder«, sagte Emma. »Trotzdem, ich finde es ungehörig, mein Gerät ohne meine Zustimmung um-zubauen.«
»Verstehen Sie denn etwas von Radios?« Der
Hohn in seiner Stimme war nicht zu überhören.
»Soviel allemal! Das sieht doch ein Blinder!«
»Und Sie behaupten, das Gerät sei bei uns…?«
»Nein, entschuldigen Sie bitte, in einem kleinen Laden um die Ecke. Ich dachte nur, Sie wüßten bestimmt, wo man sich über so eine unerhörte Eigen-mächtigkeit beschweren kann.«
»In solch einem Fall nirgends. Wozu auch, es spielt doch, nicht wahr, gnädige Frau?«
»Ich bin äußerst ungnädig«, erwiderte Emma wü-
tend, »und ich gedenke, zu meinem Recht zu kommen. Es kann doch nicht jeder mit meinen Sachen machen, was er will.«
Als man ihr im vierten Laden unverhohlen erklär-te, sie sei total verrückt, fuhr Emma nach Hause, doch sie gab nicht auf. Jetzt versuchte sie es per Telefon: beim Obermeister der Elektromechaniker-Innung, bei der Hauptverwaltung der Elektroindu-strie, bei dem für ihren Stadtbezirk zuständigen Ab-geordneten, im Amt für Eingaben, schließlich sogar 9
bei der Staatsanwaltschaft, wo man ihr androhte, den medizinischen Notdienst zu schicken, wenn sie fort-fahre, ernsthaft arbeitende Leute mit ihren Verrückt-heiten zu belästigen.
Sie fragte sich, ob sie sich am Ende nur aus Mangel an anderer Beschäftigung in eine unsinnige Sache verbohrt hatte, und entschied, daß es um mehr ging: um ein Prinzip. Hatte sie etwa nicht das Recht, ge-hört zu werden und Recht zu bekommen, wo sie recht hatte? Sie ging zum Polizeirevier. Sie hatte Glück, der Diensthabende war Herr Lapschinsky aus ihrem Haus, und er hörte sich geduldig an, was Em-ma vorzubringen hatte. Er nickte sogar verständnisvoll, sagte dann aber, da könne man leider gar nichts tun. Ja, wenn das Gerät nicht spielen würde…
Verbittert ging Emma nach Hause. Sie hatte keine Freude an ihrem Radio. Sie ließ es Pussy zuliebe den ganzen Tag laufen, doch sie stellte es, außer zur Nachrichtenzeit, so leise, daß sie nichts hören konnte, und starrte stumm aus dem Fenster. In den nächsten Tagen verließ sie ihre Wohnung nicht, und als es klingelte, öffnete sie völlig verwirrt die Tür. Patricia, ihre Großnichte, war gekommen, ihr zum achtund-siebzigsten Geburtstag zu gratulieren; Emma hatte
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