Die Physiker
bin, weiß Gott, in meinem Metier keine Anfängerin,
das ist Ihnen bekannt und dem Staatsanwalt auch, er hat meine Gutachten immer
geschätzt. Mein Sanatorium ist weltbekannt und entsprechend teuer. Fehler kann
ich mir nicht leisten und Vorfälle, die mir die Polizei ins Haus bringen, schon
gar nicht. Wenn hier jemand versagte, so ist es die Medizin, nicht ich. Diese
Unglücksfälle waren nicht vorauszusehen, ebensogut könnten Sie oder ich
Krankenschwestern erdrosseln. Es gibt medizinisch keine Erklärung für das
Vorgefallene. Es sei denn –
Sie hat sich eine neue Zigarette genommen. Der
Inspektor gibt ihr Feuer.
[28] FRL. DOKTOR Inspektor. Fällt
Ihnen nichts auf?
INSPEKTOR Inwiefern?
FRL. DOKTOR Denken Sie an die
beiden Kranken.
INSPEKTOR Nun?
FRL. DOKTOR Beide sind Physiker.
Kernphysiker.
INSPEKTOR Und?
FRL. DOKTOR Sie sind wirklich
ein Mensch ohne besonderen Argwohn, Inspektor.
INSPEKTOR denkt nach Fräulein Doktor.
FRL. DOKTOR Voß?
INSPEKTOR Sie glauben –?
FRL. DOKTOR Beide untersuchten
radioaktive Stoffe.
INSPEKTOR Sie vermuten einen
Zusammenhang?
FRL. DOKTOR Ich stelle nur fest,
das ist alles. Beide werden wahnsinnig, bei beiden verschlimmert sich die
Krankheit, beide werden gemeingefährlich, beide erdrosseln Krankenschwestern.
INSPEKTOR Sie denken an eine –
Veränderung des Gehirns durch Radioaktivität?
FRL. DOKTOR Ich muß diese
Möglichkeit leider ins Auge fassen.
INSPEKTOR sieht sich um Wohin führt diese Türe?
FRL. DOKTOR In die Halle, in den
grünen Salon, zum oberen Stock.
INSPEKTOR Wie viele Patienten
befinden sich noch hier?
FRL. DOKTOR Drei.
INSPEKTOR Nur?
FRL. DOKTOR Die übrigen wurden
gleich nach dem ersten Unglücksfall in das neue Haus übergesiedelt. Ich hatte
mir den Neubau zum Glück rechtzeitig leisten können. Reiche Patienten und auch
meine Verwandten steuerten bei. Indem sie ausstarben. Meistens hier. Ich [29] war
dann Alleinerbin. Schicksal, Voß. Ich bin immer Alleinerbin. Meine Familie ist
so alt, daß es beinahe einem kleinen medizinischen Wunder gleichkommt, wenn ich
für relativ normal gelten darf, ich meine, was meinen Geisteszustand betrifft.
INSPEKTOR überlegt Der dritte Patient?
FRL. DOKTOR Ebenfalls ein
Physiker.
INSPEKTOR Merkwürdig. Finden Sie
nicht?
FRL. DOKTOR Finde ich gar nicht.
Ich sortiere. Die Schriftsteller zu den Schriftstellern, die Großindustriellen
zu den Großindustriellen, die Millionärinnen zu den Millionärinnen und die
Physiker zu den Physikern.
INSPEKTOR Name?
FRL. DOKTOR Johann Wilhelm
Möbius.
INSPEKTOR Hatte auch er mit
Radioaktivität zu tun?
FRL. DOKTOR Nichts.
INSPEKTOR Könnte auch er –?
FRL. DOKTOR Er ist seit fünfzehn
Jahren hier, harmlos, und sein Zustand blieb unverändert.
INSPEKTOR Fräulein Doktor. Sie
kommen nicht darum herum. Der Staatsanwalt verlangt für Ihre Physiker
kategorisch Pfleger.
FRL. DOKTOR Er soll sie haben.
INSPEKTOR greift
nach seinem Hut Schön, es freut mich, daß Sie das einsehen. Ich war nun
zweimal in ›Les Cerisiers‹, Fräulein Doktor von Zahnd. Ich hoffe nicht, noch
einmal aufzutauchen.
Er setzt sich den Hut auf und geht links durch die
Flügeltüre auf die Terrasse und entfernt sich durch den Park. Fräulein Doktor
Mathilde von Zahnd sieht ihm [30] nachdenklich nach. Von rechts kommt die
Oberschwester Marta Boll, stutzt, schnuppert. In der Hand ein Dossier.
OBERSCHWESTER Bitte, Fräulein
Doktor –
FRL. DOKTOR Oh. Entschuldigen
Sie. Sie drückt die Zigarette aus. Ist Schwester
Irene Straub aufgebahrt?
OBERSCHWESTER Unter der Orgel.
FRL. DOKTOR Stellt Kerzen um sie
und Kränze.
OBERSCHWESTER Ich habe dem
Blumen-Feuz schon angeläutet.
FRL. DOKTOR Wie geht es meiner
Tante Senta?
OBERSCHWESTER Unruhig.
FRL. DOKTOR Dosis verdoppeln.
Dem Vetter Ulrich?
OBERSCHWESTER Stationär.
FRL. DOKTOR Oberschwester Marta
Boll: Ich muß mit einer Tradition von ›Les Cerisiers‹ leider Schluß machen. Ich
habe bis jetzt nur Krankenschwestern angestellt, morgen übernehmen Pfleger die
Villa.
OBERSCHWESTER Fräulein Doktor
Mathilde von Zahnd: Ich lasse mir meine drei Physiker nicht rauben. Sie sind
meine interessantesten Fälle.
FRL. DOKTOR Mein Entschluß ist
endgültig.
OBERSCHWESTER Ich bin neugierig,
woher Sie die Pfleger nehmen. Bei der heutigen Überbeschäftigung.
FRL. DOKTOR Das lassen Sie meine
Sorge sein.
Weitere Kostenlose Bücher