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Die Physiker

Die Physiker

Titel: Die Physiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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bin, weiß Gott, in meinem Metier keine Anfängerin,
das ist Ihnen bekannt und dem Staatsanwalt auch, er hat meine Gutachten immer
geschätzt. Mein Sanatorium ist weltbekannt und entsprechend teuer. Fehler kann
ich mir nicht leisten und Vorfälle, die mir die Polizei ins Haus bringen, schon
gar nicht. Wenn hier jemand versagte, so ist es die Medizin, nicht ich. Diese
Unglücksfälle waren nicht vorauszusehen, ebensogut könnten Sie oder ich
Krankenschwestern erdrosseln. Es gibt medizinisch keine Erklärung für das
Vorgefallene. Es sei denn –
    Sie hat sich eine neue Zigarette genommen. Der
Inspektor gibt ihr Feuer.
    [28]  FRL. DOKTOR   Inspektor. Fällt
Ihnen nichts auf?
    INSPEKTOR   Inwiefern?
    FRL. DOKTOR   Denken Sie an die
beiden Kranken.
    INSPEKTOR   Nun?
    FRL. DOKTOR   Beide sind Physiker.
Kernphysiker.
    INSPEKTOR   Und?
    FRL. DOKTOR   Sie sind wirklich
ein Mensch ohne besonderen Argwohn, Inspektor.
    INSPEKTOR denkt nach   Fräulein Doktor.
    FRL. DOKTOR   Voß?
    INSPEKTOR   Sie glauben –?
    FRL. DOKTOR   Beide untersuchten
radioaktive Stoffe.
    INSPEKTOR   Sie vermuten einen
Zusammenhang?
    FRL. DOKTOR   Ich stelle nur fest,
das ist alles. Beide werden wahnsinnig, bei beiden verschlimmert sich die
Krankheit, beide werden gemeingefährlich, beide erdrosseln Krankenschwestern.
    INSPEKTOR   Sie denken an eine –
Veränderung des Gehirns durch Radioaktivität?
    FRL. DOKTOR   Ich muß diese
Möglichkeit leider ins Auge fassen.
    INSPEKTOR sieht sich um   Wohin führt diese Türe?
    FRL. DOKTOR   In die Halle, in den
grünen Salon, zum oberen Stock.
    INSPEKTOR   Wie viele Patienten
befinden sich noch hier?
    FRL. DOKTOR   Drei.
    INSPEKTOR   Nur?
    FRL. DOKTOR   Die übrigen wurden
gleich nach dem ersten Unglücksfall in das neue Haus übergesiedelt. Ich hatte
mir den Neubau zum Glück rechtzeitig leisten können. Reiche Patienten und auch
meine Verwandten steuerten bei. Indem sie ausstarben. Meistens hier. Ich [29]  war
dann Alleinerbin. Schicksal, Voß. Ich bin immer Alleinerbin. Meine Familie ist
so alt, daß es beinahe einem kleinen medizinischen Wunder gleichkommt, wenn ich
für relativ normal gelten darf, ich meine, was meinen Geisteszustand betrifft.
    INSPEKTOR überlegt   Der dritte Patient?
    FRL. DOKTOR   Ebenfalls ein
Physiker.
    INSPEKTOR   Merkwürdig. Finden Sie
nicht?
    FRL. DOKTOR   Finde ich gar nicht.
Ich sortiere. Die Schriftsteller zu den Schriftstellern, die Großindustriellen
zu den Großindustriellen, die Millionärinnen zu den Millionärinnen und die
Physiker zu den Physikern.
    INSPEKTOR   Name?
    FRL. DOKTOR   Johann Wilhelm
Möbius.
    INSPEKTOR   Hatte auch er mit
Radioaktivität zu tun?
    FRL. DOKTOR   Nichts.
    INSPEKTOR   Könnte auch er –?
    FRL. DOKTOR   Er ist seit fünfzehn
Jahren hier, harmlos, und sein Zustand blieb unverändert.
    INSPEKTOR   Fräulein Doktor. Sie
kommen nicht darum herum. Der Staatsanwalt verlangt für Ihre Physiker
kategorisch Pfleger.
    FRL. DOKTOR   Er soll sie haben.
    INSPEKTOR greift
nach seinem Hut   Schön, es freut mich, daß Sie das einsehen. Ich war nun
zweimal in ›Les Cerisiers‹, Fräulein Doktor von Zahnd. Ich hoffe nicht, noch
einmal aufzutauchen.
    Er setzt sich den Hut auf und geht links durch die
Flügeltüre auf die Terrasse und entfernt sich durch den Park. Fräulein Doktor
Mathilde von Zahnd sieht ihm [30]  nachdenklich nach. Von rechts kommt die
Oberschwester Marta Boll, stutzt, schnuppert. In der Hand ein Dossier.
    OBERSCHWESTER   Bitte, Fräulein
Doktor –
    FRL. DOKTOR   Oh. Entschuldigen
Sie. Sie drückt die Zigarette aus. Ist Schwester
Irene Straub aufgebahrt?
    OBERSCHWESTER   Unter der Orgel.
    FRL. DOKTOR   Stellt Kerzen um sie
und Kränze.
    OBERSCHWESTER   Ich habe dem
Blumen-Feuz schon angeläutet.
    FRL. DOKTOR   Wie geht es meiner
Tante Senta?
    OBERSCHWESTER   Unruhig.
    FRL. DOKTOR   Dosis verdoppeln.
Dem Vetter Ulrich?
    OBERSCHWESTER   Stationär.
    FRL. DOKTOR   Oberschwester Marta
Boll: Ich muß mit einer Tradition von ›Les Cerisiers‹ leider Schluß machen. Ich
habe bis jetzt nur Krankenschwestern angestellt, morgen übernehmen Pfleger die
Villa.
    OBERSCHWESTER   Fräulein Doktor
Mathilde von Zahnd: Ich lasse mir meine drei Physiker nicht rauben. Sie sind
meine interessantesten Fälle.
    FRL. DOKTOR   Mein Entschluß ist
endgültig.
    OBERSCHWESTER   Ich bin neugierig,
woher Sie die Pfleger nehmen. Bei der heutigen Überbeschäftigung.
    FRL. DOKTOR   Das lassen Sie meine
Sorge sein.

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