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Die Physiker

Die Physiker

Titel: Die Physiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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durch eine
Vorhangkordel zu lösen.
    INSPEKTOR   Dilemma?
    NEWTON   Meine Aufgabe besteht
darin, über die Gravitation nachzudenken, nicht ein Weib zu lieben.
    INSPEKTOR   Begreife.
    NEWTON   Dazu kam noch der enorme
Altersunterschied.
    INSPEKTOR   Sicher. Sie müssen ja
weit über zweihundert Jahre alt sein.
    NEWTON starrt
ihn verwundert an   Wieso?
    INSPEKTOR   Nun, als Newton –
    NEWTON   Sind Sie nun vertrottelt,
Herr Inspektor, oder tun Sie nur so?
    INSPEKTOR   Hören Sie –
    NEWTON   Sie glauben wirklich, ich
sei Newton?
    INSPEKTOR   Sie glauben es ja.
    Newton schaut sich mißtrauisch um.
    NEWTON   Darf ich Ihnen ein
Geheimnis anvertrauen, Herr Inspektor?
    [21]  INSPEKTOR   Selbstverständlich.
    NEWTON   Ich bin nicht Sir Isaac.
Ich gebe mich nur als Newton aus.
    INSPEKTOR   Und weshalb?
    NEWTON   Um Ernesti nicht zu verwirren.
    INSPEKTOR   Kapiere ich nicht.
    NEWTON   Im Gegensatz zu mir ist
Ernesti doch wirklich krank. Er bildet sich ein, Albert Einstein zu sein.
    INSPEKTOR   Was hat das mit Ihnen
zu tun?
    NEWTON   Wenn Ernesti nun erführe,
daß ich in Wirklichkeit Albert Einstein bin, wäre der Teufel los.
    INSPEKTOR   Sie wollen damit sagen –
    NEWTON   Jawohl. Der berühmte
Physiker und Begründer der Relativitätstheorie bin ich. Geboren am 14. März
1879 in Ulm.
    Der Inspektor erhebt sich etwas verwirrt.
    INSPEKTOR   Sehr erfreut.
    Newton erhebt sich ebenfalls.
    NEWTON   Nennen Sie mich einfach
Albert.
    INSPEKTOR   Und Sie mich Richard.
    Sie schütteln sich die Hände.
    NEWTON   Ich darf Ihnen
versichern, daß ich die ›Kreutzersonate‹ bei weitem schwungvoller
hinunterfiedeln würde als Ernst Heinrich Ernsti eben. Das Andante spielt er
doch einfach barbarisch.
    INSPEKTOR   Ich verstehe nichts
von Musik.
    [22]  NEWTON   Setzen wir uns.
    Er zieht ihn aufs Sofa. Newton legt den Arm um die
Schulter des Inspektors.
    NEWTON   Richard.
    INSPEKTOR   Albert?
    NEWTON   Nicht wahr, Sie ärgern
sich, mich nicht verhaften zu dürfen?
    INSPEKTOR   Aber Albert.
    NEWTON   Möchten Sie mich
verhaften, weil ich die Krankenschwester erdrosselt oder weil ich die Atombombe
ermöglicht habe?
    INSPEKTOR   Aber Albert.
    NEWTON   Wenn Sie da neben der
Türe den Schalter drehen, was geschieht, Richard?
    INSPEKTOR   Das Licht geht an.
    NEWTON   Sie stellen einen
elektrischen Kontakt her. Verstehen Sie etwas von Elektrizität, Richard?
    INSPEKTOR   Ich bin kein Physiker.
    NEWTON   Ich verstehe auch wenig
davon. Ich stelle nur aufgrund von Naturbeobachtungen eine Theorie darüber auf.
Diese Theorie schreibe ich in der Sprache der Mathematik nieder und erhalte
mehrere Formeln. Dann kommen die Techniker. Sie kümmern sich nur noch um die
Formeln. Sie gehen mit der Elektrizität um wie der Zuhälter mit der Dirne. Sie
nützen sie aus. Sie stellen Maschinen her, und brauchbar ist eine Maschine erst
dann, wenn sie von der Erkenntnis unabhängig geworden ist, die zu ihrer
Erfindung führte. So vermag heute jeder Esel eine Glühbirne zum Leuchten zu bringen
– oder eine Atombombe zur [23]  Explosion. Er klopft dem
Inspektor auf die Schulter. Und nun wollen Sie mich dafür verhaften,
Richard. Das ist nicht fair.
    INSPEKTOR   Ich will Sie doch gar
nicht verhaften, Albert.
    NEWTON   Nur weil Sie mich für
verrückt halten. Aber warum weigern Sie sich nicht, Licht anzudrehen, wenn Sie
von Elektrizität nichts verstehen? Sie sind hier der Kriminelle, Richard. Doch
nun muß ich meinen Kognak versorgen, sonst tobt die Oberschwester Marta Boll. Newton versteckt die Kognakflasche wieder hinter dem Kaminschirm,
läßt jedoch das Glas stehen. Leben Sie wohl.
    INSPEKTOR   Leben Sie wohl,
Albert.
    NEWTON   Sie sollten sich selber
verhaften, Richard! Er verschwindet wieder im Zimmer Nummer
3.
    INSPEKTOR   Jetzt rauche ich
einfach.
    Er nimmt kurzentschlossen eine Zigarre aus seinem
Etui, zündet sie an, raucht. Durch die Flügeltüre kommt Blocher.
    BLOCHER   Wir sind fahrbereit,
Herr Inspektor.
    Der Inspektor stampft auf den Boden.
    INSPEKTOR   Ich warte! Auf die
Chefärztin!
    BLOCHER   Jawohl, Herr Inspektor.
    Der Inspektor beruhigt sich, brummt.
    INSPEKTOR   Fahr mit der
Mannschaft in die Stadt zurück, Blocher. Ich komme dann nach.
    [24]  BLOCHER   Zu Befehl, Herr
Inspektor. Ab.
    Der Inspektor pafft vor sich hin, erhebt sich,
stapft trotzig im Salon herum, bleibt vor dem Porträt über dem Kamin stehen,
betrachtet es. Inzwischen hat das Geigen- und Klavierspiel aufgehört. Die Türe
von

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