Die Pilgergraefin
aber er durfte Leonor keinesfalls allein und schutzlos weiterziehen lassen. Und als Frau konnte sie ihn schließlich nicht begleiten, schon gar nicht an Bord eines Schiffes! Die Seeleute waren abergläubisch. Weiberröcke, so glaubten sie, zogen Unglück an.
Stolz hob Leonor den Kopf. „Ich bin Eleonore, Gräfin von Eschenbronn, und Ihr habt mir nichts zu befehlen!“
Tarras, der die Spannung zwischen den beiden spürte, kam näher und winselte. Treuherzig blickte er abwechselnd seine Herrin und den Ritter an. Leonor tätschelte ihm den großen Kopf und seufzte.
„Im Augenblick sehe ich hier keine edle Burgherrin vor mir, sondern nur eine schutzlose junge Frau, als Knappe verkleidet. Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dich allein weiterziehen zu lassen.“ Er streckte seine kräftige gebräunte Hand aus. „Komm mit mir, und spiele noch eine Weile deine Rolle weiter. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht.“
Leonor ergriff die Hand, spürte die Wärme und Kraft, die von ihr ausgingen – und hätte sie am liebsten nie wieder losgelassen. Auch der Chevalier schien einen Moment zu zögern, seine Hand zurückzuziehen.
Schließlich riss Robyn sich zusammen, löste sich von ihr und sagte, um einen beiläufigen Ton bemüht: „Lass uns zum Hafen gehen, Leon. Dann kannst du einen Blick auf das Schiff werfen, das uns nach Ostia bringen wird. Du bist ja noch nie auf dem Meer gesegelt. Hoffentlich wird dir nicht schlecht werden.“
Leonor war auf ihrer Brautreise vom Elsass nach Freiburg lediglich ein Stück auf dem Rhein gefahren. Es kam ihr vor, als läge es eine Ewigkeit zurück, und war doch erst drei Jahre her. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das Meer ist mir fremd.“ Vor ein wenig Seekrankheit fürchtete sie sich nicht. Aber davor, ob sie ihre Sehnsucht nach Robyn auf dem Rest der Fahrt vor ihm verborgen halten konnte.
25. KAPITEL
Z aghaften Schrittes folgte Leonor dem Chevalier über die schwankende Planke, die auf das Schiff führte, und wunderte sich, wie man die Pferde dazu bewegt hatte, darüber zu gehen. Sie blickte sich um und sah Tarras, der hechelnd auf dem Kai saß. Offensichtlich fürchtete er sich, die Laufplanke zu betreten.
„Komm, Tarras!“, rief sie ihm zu.
Der Hund sprang auf, lief unruhig hin und her und winselte erbärmlich.
„Hierher, Tarras!“, ertönte nun der Befehl des Chevaliers.
Vorsichtig setzte der Hund eine Pfote auf die Planke und fuhr sogleich angstvoll zurück. So mutig er sich den Wölfen gegenüber gezeigt hatte, so furchtsam gebärdete er sich nun.
Leonor betrat die Kogge und sah Robyn mit großen Augen an. „Was können wir tun? Um nichts in der Welt möchte ich mich von Tarras trennen. Ohne ihn wäre ich tot.“
Robyn sah das Flehen in ihrem Blick, und inzwischen war auch ihm das kluge Tier ans Herz gewachsen, hatte es ihn doch nun bereits zweimal zu Leonor geführt. Rasch entledigte er sich seines Waffengurts mit dem schweren Schwert, reichte beides seinem „Knappen“ und eilte leichtfüßig zurück über die Planke.
Gebannt sah Leonor ihm nach. Was hatte er vor? Ein Aufschrei der Überraschung entfuhr ihr, als sie sah, wie Robyn beherzt den riesigen Hund hochhob und nun nicht mehr leichtfüßig, aber sicheren Schrittes wieder zurückkehrte und Tarras an Bord auf seine mächtigen Pfoten stellte.
Am liebsten wäre Leonor ihm um den Hals gefallen, hielt sich aber zurück, denn das hätte einem Knappen nicht angestanden, und murmelte nur ein leises „Danke“.
„Von dieser Bestie habt Ihr mir aber nichts gesagt, Chevalier.“ Im breitbeinigen Seemannsgang näherte sich ihnen ein blonder Hüne mittleren Alters mit einem gestutzten Bart. Misstrauisch beäugte er den Hund. „Zum Glück sind meine Männer und ich nicht ganz so abergläubisch wie die meisten Seeleute. Ihr wisst, Hunde, Katzen und Weiber an Bord bringen Unglück, so sagt man jedenfalls.“ Er fuhr sich über den Bart und schüttelte den Kopf. Dann streckte er die Hand aus und begrüßte seine Passagiere. „Auf eine gute Fahrt, Sieur.“ Er wandte den Blick zu Leonor. „Und dies ist Euer Knappe …“
„Leon“, stellte Leonor sich vor. „Habt Dank, dass Ihr Tarras an Bord duldet. Er hat mir mehrmals das Leben gerettet.“
„Schon gut“, brummte der Kapitän. „Ich bin Hanns von Wismar, und mit Gottes Hilfe werde ich Euch mitsamt dieser Bestie sicher ans Ziel bringen. Und nun, Männer …“, wandte er sich an die gaffenden Matrosen, „… macht alles zum Auslaufen
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