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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
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Schluchzern, erzählte sie ihm nun ihre Geschichte mit allen Einzelheiten, offenbarte ihm alles, was ihr Herz bewegte und was sie quälte; all die vielen Fragen, auf die sie keine Antwort fand. Dann, ganz zum Schluss, erzählte sie ihm von ihrem Traum, in dem sich der Engel in einen Ritter verwandelte, der sie immer mehr an Robyn erinnert hatte.
    Zwar wusste Robyn, dass sie eine Wallfahrt nach Rom auf sich genommen hatte, um ihre, wie er fand – vermeintliche – Schuld zu sühnen. Doch wie sehr die Geschehnisse in der Heimat sie quälten, hatte er nicht geahnt. Er selbst war der Meinung, dass sie frei von Schuld war. Und so gab es für ihn nur eines: sie zu trösten und ihr diese irrigen Schuldgefühle zu nehmen. Aber wie? Wie konnte er sie davon überzeugen, dass die tragischen Ereignisse – je nachdem, wie man es betrachtete – der Wille Gottes oder eine Fügung des Schicksals waren? Dass es im göttlichen Plan des Himmelsherrschers gestanden hatte, den Grafen und den Knaben in so jungen Jahren zu sich zu rufen. Dass Er in seinem unergründlichen Ratschluss Leonor auf diese Pilgerreise geführt hatte, sodass sich ihrer beider Wege kreuzten.
    „Leonor“, hub er behutsam an und streckte die Arme nach ihr aus. „Leonor, komm zu mir. Lass mich dich trösten und dir erklären …“
    Trotz der vom blauen Himmel warm scheinenden Sonne fröstelte Leonor. Ach, wie gern hätte sie sich in Robyns Arme geschmiegt, seine Wärme gespürt, seine tröstliche Nähe. Doch es durfte nicht sein.
    „Komm her, Leonor“, wiederholte Robyn. „Ich will dich nur halten. Lege deinen Kopf an meine Schulter, und ich will versuchen, deinen Kummer zu vertreiben.“
    Wie von unsichtbaren Fäden gezogen, rückte sie wieder näher an ihn heran und barg den Kopf an seiner Schulter.
    Robyn legte den Arm um sie und drückte sie sanft an sich. Erneut traten ihr Tränen in die Augen, da er sie so zart und fürsorglich behandelte, seine Leidenschaft unterdrückt hatte, ohne zu murren, und ihr nun Trost spendete.
    Er zog sie enger an sich, sodass sie nun an seiner Brust lag. Behutsam strich er ihr über das seidige schwarze Haar. „Leonor, oh, Leonor, wie kann ich dich nur überzeugen, dass dich keine Schuld trifft an dem, was geschehen ist, und dass es dir sehr wohl zusteht, wieder Glück und Freude im Leben zu finden?“ Er zermarterte sich das Hirn, die richtigen Worte zu finden. Auf einmal erinnerte er sich an einen klugen Mann, den er auf seiner Fahrt in den Orient getroffen hatte. Zwar war der Alte ein Anhänger Allahs, aber Robyn hatte gelernt, alle Religionen zu achten, und wusste die Weisheit des Gelehrten, der ihm so manchen guten Rat gegeben hatte, zu schätzen. Dieser Alte hatte ihn auch in dem bestätigt, was er selbst bereits für sich zur Maxime erhoben hatte: zuerst den Verstand zu gebrauchen, ehe man sich in ein blutiges Scharmützel warf. „Wer mit dem Schwerte kämpft, kommt durch das Schwert um“, hatte er philosophiert.
    Wahrscheinlich verdankte er dem Mann sogar sein Leben. Denn Tarik hatte die böse Wunde, die er in einem Gefecht davongetragen hatte, so gut behandelt, dass es zu keiner Entzündung gekommen und heute nur noch eine feine weiße Narbe an seinem Oberschenkel zu sehen war. Robyn, der sich bereits als humpelnder Invalide gesehen hatte, war dem arabischen Medicus zutiefst dankbar und hatte aufmerksam dessen Worten gelauscht, während dieser die Verletzung versorgte. Und das, obwohl er dem feindlichen Lager angehört hatte.
    „Liebste Leonor“, sagte er nun und wiegte sie sacht in den Armen, „wir alle sind in Gottes Hand. Nichts auf dieser Welt geschieht ohne seinen Willen …“
    „Ja, ja“, unterbrach sie ihn matt. „Das hat meine Kammerfrau Anna mir auch immer wieder gesagt. Und dennoch …“
    „Willst du dich denn mit aller Macht gegen Gottes Willen auflehnen?“, fragte Robyn ernst. „Versteh doch, alles, was uns widerfährt, ist im Buch des Lebens festgehalten. Das hat mir jedenfalls ein weiser alter Araber erklärt. Natürlich können wir auch selbst unsere Schritte lenken und Entscheidungen treffen – so wie du dich entschieden hast, die Pilgerreise nach Rom anzutreten. Und ich möchte anmerken, dass dies eine sehr gute Entscheidung war, denn sonst wären wir einander nie begegnet“, fügte er lächelnd hinzu. „Und dass wir uns getroffen haben, macht mich überaus glücklich, meine süße Pilgergräfin.“
    In ihrem Kopf wirbelten die unterschiedlichsten Gedanken durcheinander. Hatte

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