Die Pilgergraefin
doch die Burgherrin spielen.
„Sie fragen nach einem Nachtlager und Brot. Es ist unsere Christen…“
Leonor unterbrach die treue Kammerfrau. „Anna, ich weiß sehr wohl, was unsere Christenpflicht ist. Gewiss haben die Pilger einen Anführer. Bring den Mann zu mir, und lass die Mägde Brot und Käse an die Wallfahrer verteilen.“ Sie überprüfte den Sitz ihrer Haube. „Ach ja, und Walburga soll ihnen Krüge mit Wasser servieren. Soweit ich weiß, trinken Pilger während der Fahrt keinen Wein.“
„Sehr wohl, Herrin.“ Anna knickste und verließ die Kemenate.
Schon wenig später führte sie einen Mann mit einem langen weißen Bart herein, der ein härenes Pilgergewand und einen Stab trug. Ehrfürchtig, doch selbstbewusst verneigte er sich vor der jungen Frau im Armstuhl und wartete, bis sie das Wort an ihn richtete.
„Gott zum Gruße, guter Mann“, sagte Leonor huldvoll und bedeutete ihm, näher zu kommen.
„Gewiss seid Ihr die Gräfin Eleonore, hohe Frau. Ich bin Pater Anselm und führe die mir von Gott befohlenen Schäfchen an den heiligen Ort, wo ihnen ihre Sünden vergeben werden.“
Leonor deutete auf einen gepolsterten Schemel. „Nehmt Platz, Bruder Anselm. Gleich wird man Euch eine Stärkung servieren. Ihr seht aus, als könntet Ihr sie vertragen.“
Der dürre Mann, der wirkte, als könnte ihn ein leichter Frühlingshauch umwehen, gleichzeitig jedoch innere Stärke und Zuversicht ausstrahlte, setzte sich.
Als Walburga ihm Wasser, Brot und Käse brachte, trank er zwar durstig, aß jedoch manierlich und zurückhaltend, nachdem er kurz dem Herrgott für die Speisen gedankt hatte.
Leonor wartete, bis er sich gestärkt hatte, und richtete dann das Wort an ihn: „Seid Ihr schon lange unterwegs, Bruder Anselm?“
Der Mann trank noch einen Schluck Wasser, wischte sich über den Mund und hub an: „Gnädige Gräfin, meine Brüder und Schwestern und ich danken Euch für Eure Barmherzigkeit. Zuvor wollten wir Unterkunft im nahe gelegenen Stift suchen, indes wies man uns dort die Tür.“
Leonor schüttelte den Kopf. Noch nie zuvor hatte sie gehört, dass ein Klostervorsteher Pilger fortgeschickt hatte. Zwar war die Äbtissin Hildegardis von Fronholtz für ihren Geiz und ihr hartes Regiment bekannt, aber dass sie so unchristlich gehandelt hatte …
„Seit mehr denn zwei Wochen sind wir bereits unterwegs, nachdem wir in Köln aufbrachen“, erklärte Anselm. „Mancherlei Fährnis ließ uns nur langsam vorankommen. So behinderte uns ein Hochwasser des Rheins nach heftigen Regenfällen, in dem zwei unserer Gefährten, Gott sei ihren unsterblichen Seelen gnädig, ihr Leben verloren und ertranken. Und doch sind wir frohen Mutes, dass der Herr uns beschützt und an unser Ziel geleiten wird.“
Leonor neigte das Haupt. „Gewiss ist dieses Ziel Santiago de Compostela, wo Ihr und Eure Begleiter am Grab von Sankt Jakobus um Vergebung Eurer Sünden bitten wollt.“
Erneut nahm Anselm einen Schluck aus dem irdenen Becher. „Nein, Frau Gräfin, wir pilgern nicht gen Spanien. Dort war ich bereits. Dieses Mal führt unser Weg nach Rom zum Grab des allerheiligsten Märtyrers und Apostels Paul.
„Nach Rom also führt Euch Eure fromme Fahrt. Gewiss ein langer und steiniger Weg, Pater Anselm.“
„In der Tat, Frau Gräfin. Doch was bedeutet schon ein langer, steiniger Weg im Vergleich zu ewiger Verdammnis und teuflischer Pein im Höllenfeuer?“
Leonor nickte. „Da habt Ihr wohl recht. Nun denn. So wünsche ich Euch und Euren frommen Pilgerbrüdern eine gute Reise.“ Sie erhob sich, um ihm zu bedeuten, dass das Gespräch zu Ende sei.
Anselm verstand das Zeichen, stand ebenfalls auf und verneigte sich. „Nochmals Dank, edle Gräfin. Ich werde Euch einschließen in meine Gebete.“
Leonor neigte huldvoll das Haupt. „Verweilt noch einige Tage auf Burg Eschenbronn, auf dass Ihr und Eure Gefährten zu Kräften kommt. Sofern Ihr ein Begehr habt, wendet Euch an Anna, meine Kammermagd. Gott befohlen, Pater Anselm.“
Schlaflos wälzte sich Leonor in dem schmalen Bett der Kammer, die Lothar ihr zugewiesen hatte, nachdem er selbst in das gräfliche Schlafgemach übergesiedelt war, in dem sie so viele glückliche Nächte mit ihrem Gemahl verbracht hatte.
Die Begegnung mit dem Pater hatte sie aufgewühlt, ebenso wie das Gespräch mit ihrem Schwager, das dieser, nachdem Pater Anselm die Kemenate verlassen hatte, mit ihr geführt hatte. Er hatte ihr nicht nur vorgeworfen, viel zu freundlich und großzügig
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