Die Pilgergraefin
Grafschaft meines Vaters grenzt, zu Diensten sein. Da es sich dabei jedoch um eine delikate Angelegenheit gehandelt hat, darf ich nicht weiter darüber sprechen.“
„Ja und?“, erkundigte sich Jérôme. „Das erklärt noch nicht …“
Robyn zuckte mit den Achseln. „Der Herzog hat mich dem König empfohlen. Daraufhin hat Charles mich geprüft – sowohl bezüglich meiner ritterlichen Fähigkeiten beim Turnier als auch meiner geistigen Talente beim Schachspiel – und mir zunächst einen weniger bedeutenden Auftrag erteilt. Da ich diesen zu seiner Zufriedenheit erledigte, durfte ich weitere Aufgaben übernehmen und schließlich in hochwichtigen geheimen Missionen unterwegs sein.“
„Verstehe, Chevalier. Dann könnt Ihr uns doch den eintönigen Ritt mit einigen brisanten Anekdoten unterhaltsamer gestalten.“
Robyn schüttelte den Kopf ob dieser Einfalt. „Du hast anscheinend gar nichts verstanden, Jérôme. Wie ich bereits sagte, handelt es sich um geheime Missionen, bei denen ich als Bote zwar in groben Zügen weiß, worum es geht, den genauen Inhalt der Depeschen aber nicht kenne.“
Enttäuscht ließ Jérôme die Schultern hängen. Jetzt, so wusste er, würde der Chevalier wieder in Schweigen versinken. Irgendwie hatte er sich das Ganze aufregender und abenteuerlicher vorgestellt.
Wortlos trotteten sie in der anbrechenden Dämmerung weiter in Richtung Lyon.
Langsam versank die Sonne am westlichen Horizont. Nebelschwaden stiegen vom Boden auf und verschlechterten die Sicht. Da tauchte plötzlich in der Ferne ein schwacher Lichtschein auf.
„Das muss ein Gasthaus sein!“, rief Jérôme begeistert und gab seinem müden Ross die Sporen.
„Halte ein, Jérôme! Warte! Achte auf …“
Ein markerschütternder Schrei unterbrach den Chevalier. Im rötlichen Schein der untergehenden Sonne sah er, wie der Wallach strauchelte und Jérôme im hohen Bogen durch die Luft flog.
Eilends ritt Robyn zu der Stelle, wo sein Knappe am Boden lag, während dessen Ross erschreckt noch ein Stück weitergaloppierte. Rasch sprang er aus dem Sattel. Zum Glück trug er auf Reisen – sofern keine besondere Gefahr im Verzuge war –, nur einen leichten Brustharnisch über seinem Gambeson, sodass er, anders als voll gerüstet, auch ohne Hilfe eines Schildknechts vom Pferd steigen konnte.
Besorgt beugte er sich über den wie leblos daliegenden Jérôme, dem kein Wehlaut über die Lippen kam. Gütiger Gott, war der Junge etwa tot? Wie sollte er das seiner Mutter beibringen? Er streifte den rechten Reithandschuh ab und legte die Fingerspitzen an Jérômes Hals. Gottlob! Noch steckte Leben in ihm. Vorsichtig tastete er die Gliedmaßen ab. Nichts schien gebrochen. Doch als er über den Brustkorb strich, entrang sich Jérômes Lippen ein Schmerzensschrei, und gleichzeitig schlug er die Augen auf.
Aha, eine Rippe – oder gar zwei – war gebrochen. Das tat höllisch weh, wie Robyn aus eigener Erfahrung nach einem Sturz vom Turnierpferd wusste, war indes nicht lebensbedrohend. Eine feste Bandage, ein Tag der Ruhe – so hatte er es jedenfalls damals gehalten –, und man konnte erneut in den Sattel steigen. Er stieß einen Pfiff aus, und gehorsam trabte der Wallach des Knappen heran. Zum Glück hatte sich das Tier nicht verletzt. Und so hob Robyn kraftvoll, aber behutsam den stöhnenden Jérôme in den Sattel.
Wie gut, dass das Dorf mit dem Gasthaus nicht mehr allzu weit entfernt lag.
„Pilger sind im Hof, Herrin.“
Leonor sah von ihrer Handarbeit hoch. Seitdem es ihr ein wenig besser ging und sie nach dem schrecklichen Verlust langsam neue Kräfte gewann, widmete sie sich dem Sticken, um die langen, einsamen Stunden zu überbrücken, obwohl sie der monotonen Tätigkeit nach wie vor nichts abgewinnen konnte. Allerdings blieb ihr auch nicht viel anderes zu tun übrig, denn ihr Schwager wünschte nicht, dass sie weiterhin den vielfältigen Pflichten einer Burgherrin nachging. Diese hatte er seiner dreizehnjährigen Schwester Gisela übertragen. Dass das Mädchen damit hoffnungslos überfordert war, schien ihn nicht zu stören. Mit jedem Wort, mit jeder Geste, mit jedem Wort machte er Leonor deutlich, dass er sie los sein wollte.
„Ja, Anna. Was ist deren Begehr?“
Die Kammerfrau knickste und kam näher. „Junker Lothar … ich meine, Graf Eschenbronn will … wünscht, dass Ihr Euch mit dem … Pack, verzeiht, Herrin, aber so drückte er sich aus, beschäftigt.“
Aha, dachte Leonor, in diesem Fall darf ich dann
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