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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
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Sendschreiben des Königs rechtzeitig nach Avignon brachte.
    „Nur Mut, Jérôme. Gleich wird es dir besser gehen!“ Ein schmerzvolles Stöhnen war die Antwort. Robyn kramte in seiner Satteltasche und brachte alsbald eine Phiole und eine Dose zum Vorschein. Aus der Phiole gab er ein paar Tropfen in einen Holzbecher, der auf einem wackeligen Tisch stand, füllte etwas Wasser aus dem irdenen Krug dazu und reichte Jérôme das Trinkgefäß. „Nimm das, und die Schmerzen werden bald erträglicher.“
    Der Jüngling schluckte das Gebräu aus Mohnsaft, das Robyn aus dem Orient mitgebracht hatte, tapfer hinunter und schüttelte sich ob des bitteren Geschmacks. Sogleich kam ein weiterer Wehlaut über seine Lippen, denn durch die Bewegung schmerzte die gebrochene Rippe noch mehr.
    „Setz dich auf, Jérôme. Ich muss dir Wams und Hemd ausziehen“, befahl Robyn.
    Der Knappe verzog das Gesicht. „Oh nein, Chevalier, verlangt das nicht von mir. Es schmerzt zu sehr.“
    „Tu, was ich dir sage, Junge, sonst hast du morgen noch mehr Pein.“
    Ächzend erhob sich Jérôme, sodass Robyn seinen Oberkörper von der Kleidung befreien konnte. Schon zeigten sich die ersten blaulila Flecken auf Schultern und Brust des Knappen.
    „Und nun lege dich wieder hin.“ Robyn griff zu der Dose, hob den Deckel und verzog die Nase. Wie Rosenwasser duftete die Pferdesalbe gewiss nicht. Doch schon oft hatte sie ihm gute Dienste geleistet, wenn ein Ross sich versprungen und sich das Bein verstaucht hatte.
    „Es ist nicht Euer Ernst, mir dieses stinkende Zeug …“
    Robyn nickte. „Oh doch, das ist es. Schon bald wirst du merken, dass der Schmerz nachlässt.“ Die Nase rümpfend griff er in den Tiegel und verteilte behutsam die stinkende Salbe auf den blauen Flecken seines Knappen.
    Ein Klopfen an der Tür ließ ihn innehalten. Auf sein „Herein“ kam die Magd in die Kammer, in Streifen gerissene Tücher über dem Arm.
    Robyn nahm sie ihr ab und scheuchte das auf den entblößten Oberkörper des Knappen gaffende junge Ding hinaus.
    „Nun musst du dich noch einmal aufsetzen, Jérôme, damit ich dir deine Rippen verbinden kann“, gebot er dem Jüngling.
    „Nicht schon wieder, Chevalier – es tut doch so …“
    „Wird’s bald!“, forderte Robyn. „Sonst lasse ich dich hier zurück, und du kannst allein zu deiner Mutter …“
    „Ist schon gut“, quetschte Jérôme hervor und richtete sich mühsam auf.
    Geschickt wickelte Robyn die Leinenstreifen um die Brust seines Knappen und half ihm dann, sich wieder zurückzulegen. Ein letztes Stöhnen und ein erster Schnarcher – der Mohntrank hatte seine Wirkung getan.
    Erst jetzt merkte Robyn, dass er nach dem langen Tagesritt selbst sterbensmüde war. Da Jérôme auf der einzigen Bettstatt der Kammer lag, blieb ihm nur der Strohsack auf dem harten Boden. Hoffentlich befanden sich keine Wanzen darin! Erschöpft streckte sich Robyn auf dem kargen Lager aus, zog die kratzige Wolldecke bis zu seinen Schultern hinauf und versank alsbald in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
    „Oh, tut das gut.“ Genüsslich spreizte Leonor die Zehen ihrer schmerzenden Füße in dem angenehm kühlen Wasser. Eilfertig und wie stets besorgt um ihre junge Herrin, hatte Anna den kleinen Bottich beschafft und in die Scheuer gebracht, wo die Pilgergesellschaft am Abend ihres ersten Tages seit dem Aufbruch von Burg Eschenbronn ein Nachtlager gefunden hatte. Pater Anselms missbilligende Blicke ignorierte Leonor. Wahrscheinlich würde er ihr eine Strafpredigt halten, denn natürlich war es nicht üblich, dass ein Pilger über den anderen stand und eine bevorzugte Behandlung erhielt. Doch nie hätte sie, die bisher kaum zu Fuß gelaufen war, sondern stets im Sattel eines Zelters gesessen hatte oder in der Stadt gar in einer Sänfte getragen worden war, geahnt, wie beschwerlich es war, die Tagesstrecke einer Pilgergruppe von fünfzehn oder mehr Meilen zu Fuß zu bewältigen.
    Und dabei war der Marsch noch durch mehr oder weniger flaches Land gegangen. Wie würde es erst sein, wenn sie die Berge, Alpen wurden sie wohl genannt, erreichten, um sie zu überqueren und dann hinabzusteigen in ein unbekanntes Land, von dem sie nicht wusste, welche Herausforderungen sie dort erwarteten? Und in dem die Menschen zudem eine Sprache sprachen, die sie nicht verstand?
    Schon nach den ersten Meilen war Leonor versucht gewesen, aufzugeben und den Rückweg anzutreten. Ihre Füße schmerzten, und der monotone Betgesang der Pilger hatte ihr,

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