Die Pilgergraefin
gewohnt an die wohltönenden Klänge von Laute und Leier, unangenehm in den Ohren geklungen.
Doch dann hatte ihr wieder das Schicksal hinter Klostermauern oder – noch schlimmer – das Los als gepeinigte Gattin des Barons Attenfels vor Augen gestanden. Also hatte sie tapfer die Blasen an ihren Füßen ignoriert, war weitergegangen und hatte zuweilen sogar in den Bitt- und Lobgesang der Pilger mit eingestimmt. Und festgestellt, dass die Gebete und Fürbitten sie von dem schier endlos scheinenden Marsch und ihren traurigen Erinnerungen ablenkten.
Seufzend zog sie die Füße aus dem Bottich. Ließ es zu, dass Anna sie ihr liebevoll abtrocknete, und schüttelte den Kopf, als ihre Kammerfrau sie fragte, ob ihr monatlicher Blutfluss schon eingesetzt habe und sie die Leinenbinden benötige. Ihr erster Gedanke war, oh, die Gute, sie hat aber auch wirklich an alles gedacht, obwohl wir so übereilt aufgebrochen sind. Der zweite Gedanke erschreckte sie. Bei all dem Kummer und der Aufregung hatte sie sich nicht gefragt, wann sie zuletzt … Oh, Himmel! Gerade einmal zwei Tage vor seinem Tod hatte sie Konrad noch beigelegen und sich insgeheim ein Schwesterchen für den fast zweijährigen Konradin gewünscht. Was, wenn sie nun guter Hoffnung war? Einerseits wäre dies eine große Freude, denn nach dem herben Verlust hätte sie dann wenigstens ein Kind, das sie an den geliebten Mann erinnern würde – ein Teil von ihm. Doch andererseits, wie sollte sie die beschwerliche Wallfahrt bewältigen, wenn sie schwanger war? Und was sollte aus ihrem Kind werden, das ebenso heimatlos wäre wie sie?
Kummervoll blickte sie Anna an. „Wäre es denn so weit? Oder bin ich gar darüber?“
„Nun, es wäre an der Zeit, Herrin, aber es besteht noch kein Grund, dass Ihr Euch Sorgen macht. Wenn eine Frau so Schreckliches durchgemacht hat wie Ihr, kann es schon einmal sein, dass der Monatsfluss sich verspätet oder aussetzt.“
Leonor nickte und klammerte sich an diesen Strohhalm.
„Und nun solltet Ihr Euch stärken.“ Anna reichte ihr ein Stück Brot.
Hungrig griff Leonor danach, biss aber nur zaghaft hinein.
Oje. Ein weiteres Ungemach. Trocken Brot und alter Käse – sollte das nun ihre Nahrung sein, bis sie Rom erreichten und sich am Grab des Apostels von ihren Sünden reinigen durften? Gleichgültig, der rumorende Hunger in ihrem Magen ließ ihr sogar die trockene Brotrinde herzhaft munden und fast den Gedanken an einen köstlichen Braten vom Wildschwein, das ihr Gemahl auf der Jagd erlegt hatte, vergessen.
Konrad! Sofort wurde Leonor wieder von Schuldgefühlen gepackt, worauf sie sich jeden weiteren sündigen Gedanken an fein gesottene Speisen und süffige Weine versagte. Stattdessen griff sie zu dem Becher mit frischem Wasser und fand, dass es den Durst viel besser löschte als der süßliche Rheinwein.
„Sie ist … fort?“ Während das eine Auge des Barons an die Balkendecke blickte, funkelte das andere Graf Lothar an. „Was soll das heißen? Habt Ihr etwa keine Gewalt über eine schwache Weibsperson, die unter Eurem Regiment steht?“ Wütend zupfte Kuno von Attenfels an dem Spitzbart, der aus seinem kantigen Kinn spross.
„Nun, sie ist fort“, erwiderte Lothar etwas einfältig. „Bei Nacht und Nebel im frühen Morgengrauen ist sie …“
„Was denn nun – bei Nacht und Nebel oder im frühen Morgengrauen, Ihr Schwachkopf? Ihr habt sie mir versprochen, und was mein ist, ist mein“, polterte Kuno.
„Je nun, sie ist fort. Was weiß ich, um welche Stunde. Wenn Ihr sie wollt, dann folgt ihr doch. Sicher habt Ihr das lahme Pilgerpack alsbald eingeholt und könnt mit Eurem zarten Täubchen auf Eure Burg zurückkehren.“ Betulich füllte Lothar sich erneut den Pokal bis zum Rand mit Wein.
„Worauf Ihr Euch verlassen könnt“, schwor Kuno und löste den Blick des rechten Auges vom Gebälk, um Graf Lothar, so gut es ging, gereizt mit beiden Augen anzusehen. „Noch in diesem Moment werde ich mich auf mein Pferd schwingen, und – gnade Euch Gott oder der geschwänzte Satan – wenn ich sie nicht erwische, werdet Ihr mir büßen, so Ihr nicht Heller auf Heller, was Ihr mir schuldet, zurückzahlt.“ Er sah sein Gegenüber maliziös lächelnd an. „Und Ihr wisst, dass ich Euer … hm … kleines Geheimnis kenne.“
Obwohl alarmiert durch diese Andeutung, versuchte Lothar sich mit einem Schulterzucken gelassen zu geben. Denn bei dem „kleinen Geheimnis“ handelte es sich keineswegs nur um seine Spielschulden.
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