Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
Vom Netzwerk:
Plateau, das unweit von der Stelle, an der sie gerade verharrten, um den Beutezug der Sperber zu beobachten, steil abfiel. Im Gegensatz zum Baron kannte er das Gelände hier wie das Innere seiner leeren Geldkatze. Und er wusste, dass sein Feind, in dessen Händen Giselas und sein eigenes Leben lagen, aufgrund seines Augenfehlers ein eingeschränktes Sehvermögen besaß. Wenn es ihm gelänge …
    „Was haltet Ihr von einem Wettrennen, Attenfels? Wenn Ihr gewinnt, gehört Gisela Euch. So Ihr verliert …“
    „Ha“, unterbrach ihn der Baron, „Gisela gehört mir bereits. Und Ihr wisst, warum! Wenn Euer schmutziges kleines Geheimnis der Obrigkeit bekannt wird … Doch gegen einen Wettkampf habe ich nie etwas einzuwenden. Das Leben bietet ja nicht allzu viele Abwechslungen.“ Zynisch verzog Kuno von Attenfels die schmalen Lippen.
    „Wohlan denn … seht Ihr die einzelne Tanne dort vorn?“
    „Natürliche sehe ich die, du Schwachkopf“, entgegnete der Baron und richtete den Blick seines gesunden Auges auf besagten Baum.
    „Wer zuerst dort ist, hat gewonnen. Bin ich der Sieger, sind mir alle Schulden erlassen. Seid Ihr zuerst dort, gehören Gisela und Burg Eschenbronn Euch.“
    Überzeugt davon, dass er auf seinem schnellen Rappen die Tanne vor dem Grafen erreichen würde, gab Kuno von Attenfels dem Tier so heftig die Sporen, dass es vor Schmerz wieherte. Seines Sieges sicher, preschte er los, gefolgt von Lothar, der sein Pferd zwar angaloppieren ließ, aber unter Kontrolle hielt. Denn er wusste, dass jenseits der Tanne der Abgrund lauerte – und ein tiefer, tödlicher Sturz, der im schäumenden Wasser des Flusses enden würde.

9. KAPITEL
    M ir ist so kalt, Herrin.“ Annas Lippen waren blau, und frierend zog sie das dünne Tuch um ihre Schultern. „Seht nur, obwohl wir Sommer haben, liegt hier auf den Gipfeln noch Schnee.“ Leonor fand es gar nicht so kalt und war froh, dass die mittägliche Hitze ein wenig nachgelassen hatte.
    Zum ersten Mal, seit sie vor vielen Tagen – oder waren es inzwischen gar schon Wochen? – Burg Eschenbronn verlassen hatten, hatte ihre getreue Kammermagd auf der beschwerlichen Wanderung eine Klage geäußert. Und zum ersten Mal empfand Leonor, dass sie nun für Anna Sorge tragen musste und nicht umgekehrt, wie es bisher stets der Fall gewesen war. Sie erinnerte sich, dass sie sich nach Annas Gesundheit hatte erkundigen wollen. Doch das musste noch ein wenig warten. Zunächst musste sie überlegen, wie es weitergehen sollte.
    Sie befanden sich mutterseelenallein in einer schroffen, abweisenden Bergwelt, weitab von jeder menschlichen Behausung. Und weder Anna noch sie wussten, wohin der schmale Pfad, dem sie folgten, sie führen würde. So weit das Auge reichte, gab es nur kahle Matten, auf denen von Zeit zu Zeit ein hasenähnliches Tier, allerdings hatte es keine so langen Ohren, zu sehen war. Felsen ragten aus den kargen Grasflächen empor. Bäume – dürre Kiefern – wuchsen nur noch vereinzelt, und oberhalb der Bergwiesen erhoben sich schier unüberwindliche Gebirgsmassen.
    „Ach Anna – ich glaube, ich habe mich für den falschen Weg entschieden“, gab Leonor widerwillig zu. Inzwischen stand für sie absolut fest, dass Pater Anselm und die anderen diesem Bergpfad nicht gefolgt waren – und er seltsamerweise auch keinen Suchtrupp nach ihnen ausgeschickt hatte. Nicht einmal Richard, der ihr doch des Öfteren Blicke zugeworfen hatte, die sein Interesse an ihr bezeugten – oder hatte sie das falsch gedeutet? –, schien es zu kümmern, was aus ihr wurde, sonst hätte er gewiss dafür gesorgt, dass man nach ihr und Anna Ausschau hielt. Sie kramte in ihrem Pilgerbündel und förderte ein Tuch hervor, das sie vorsorglich in dem Marktflecken erstanden hatte.
    „Hier, nimm das. Es wird dich ein wenig wärmen.“
    „Nein, Herrin, das kann ich nicht. Gewiss friert Ihr ebenso sehr wie ich.“
    Leonor antwortete nicht, sondern schlang der Kammerfrau das wollene Tuch um die Schultern.
    Dankbar genoss Anna die Wärme, um jedoch sogleich fortzufahren: „Wovon sollen wir uns hier ernähren? Wir haben nur noch wenig Brot und Käse.“
    Leonor überlegte. Auch ihr war dieser Gedanke bereits gekommen. Aber hier oben in der Nähe des Passes gab es gewiss keine Menschen, die sie mit Nahrung versorgen konnten.
    „Sei guten Mutes, Anna. Der Herr wird für uns sorgen. Wenn wir den Pass überwunden haben und hinab ins Tal schreiten, finden wir dort bestimmt Hirten oder Bauern, die

Weitere Kostenlose Bücher