Die Pilgergraefin
Luft anhalten konnte, und kam dann prustend wieder an die Oberfläche.
Herrlich erfrischt, watete sie ans Ufer zurück und wrang das lange Haar aus, über das ihr Gemahl ihr so oft in Nächten der Liebe gestrichen hatte. Dann kramte sie in ihrem Beutel nach dem zweiten Unterhemd, zog das nasse aus und das frische an. Das gewaschene Teil breitete sie sorgsam über einem Felsbrocken aus und setzte sich dann wieder auf den bemoosten Stein und ließ sich von der bereits untergehenden Sonne die Haare trocknen.
Lächelnd sah sie zu, wie Tarras aus dem Wasser kam, sich kräftig schüttelte und danach begeistert im Gras wälzte. Doch als er aufsprang, entdeckte sie entsetzt, dass er mit älteren und frischen Narben übersät war. Narben, die offensichtlich von Peitschenhieben herrührten. Kein Wunder, dass das Tier seinem Herrn – wahrscheinlich der finstere Geselle, der ihr das Wasser ins Gesicht geschüttet hatte – entflohen war. Inzwischen mutmaßte sie, dass er ein Räuber oder Schmuggler war und dass der Pfad, dem sie und Anna gefolgt waren, seinen dunklen Geschäften diente.
Da es inzwischen bereits Abend war und es ihr an diesem friedlichen Fleckchen Erde so gut gefiel, beschloss Leonor, die Nacht hier zu verbringen und erst am Morgen weiterzuwandern.
Zu ihrer Erleichterung hatte an diesem Tag auch ihr Monatsfluss eingesetzt. Demnach war sie nicht guter Hoffnung, was angesichts der ungewissen Zukunft, die ihr vor ihr lag, gewiss besser war. Da ihr keine Leinenbinden zur Verfügung standen, hatte sie Streifen vom Saum ihres Hemdes abgerissen, um sich notdürftig zu versorgen. Ach, wie sehr ihr die gute Anna fehlte …
Als ihre Haare einigermaßen trocken waren, stand sie auf, um, ehe die Dunkelheit hereinbrach, einige Äste für ein kleines Feuer zu sammeln, das ein wenig Wärme spenden und Raubtiere, so es denn solche in diesem lieblichen Tal gab, abhalten würde.
Außerdem wusste sie Tarras an ihrer Seite, der sie sicher beschützen würde. Und so traf sie beruhigt ihre Vorbereitungen für die Nacht.
„Merde“ , fluchte Robyn, als er seinen Hengst aus dem nördlichen Stadttor von Mailand lenkte. Nun musste er auch noch einen Umweg in Richtung Berge machen, denn im Palazzo des Herzogs hatte man ihm mitgeteilt, dass sich Gian Galeazzo Visconti mit seinem Gefolge auf einem Jagdausflug befand.
Um sich von seiner schlechten Laune abzulenken, stellte Robyn sich wieder einmal vor, wie der König ihn nach seinem erfolgreich durchgeführten Auftrag empfangen und ihm huldvoll und großzügig ein Lehen übergeben würde. Eine stattliche Burg und ertragreiche Ländereien – vielleicht in Lothringen, wo auch seine Familie zu Hause war. Und, sollte Charles V. besonders gut gelaunt sein, würde er ihm sogar den Grafentitel verleihen, sodass er nicht mehr hinter dem älteren Bruder, dem Erben seines Vaters, zurückstehen musste.
Ach Robyn, schalt er sich selbst, denke doch nicht immerzu an dasselbe. Du kannst die Dinge nicht erzwingen, und ob ein König sich an seine Versprechungen hält, steht in den Sternen. Was weißt du schon, was im Kopfe eines Monarchen vor sich geht und welche Überlegungen ihn leiten. Aber schön wäre es doch …
Während sein treuer Adomar ihn den Ausläufern der Alpen entgegentrug und das Packpferd hinter ihm hertrottete, sah Robyn vor seinem geistigen Auge sogar etwas, das er sich nun bereits zum zweiten Mal vorstellte: eine schöne Frau mit dunklem Haar – nein, die Farbe war eigentlich nicht so wichtig – in einer wohnlich eingerichteten Kemenate, die vor dem Kamin saß und stickte, zu ihren Füßen ein Knabe, der …
Nein! Er wollte – und er durfte – sich nicht solchen Vorstellungen hingeben.
Hör auf, Robyn! rief er sich zur Ordnung. Seit wann träumte er, der Abwechslung und Abenteuer liebte, denn von Weib und Kind in einer behaglichen Burg? Schon die Reise nach Avignon und Mailand war für seinen Geschmack viel zu ereignislos und glatt verlaufen, sah man einmal von dem lächerlichen Intermezzo mit den Strauchdieben, die offensichtlich sogar zu dümmlich gewesen waren, Reisenden auf der Hauptstraße aufzulauern, und dem Brand in der Schmiede ab. Kein einziges Mal hatte es Situationen gegeben, in denen sein scharfer Verstand gefordert gewesen war, um einer prekären Lage ohne Blutvergießen zu entkommen. Wie konnte er sich da nur Weib und Kind wünschen und an die Verwaltung zukünftiger Ländereien denken? Allerdings, sollte mich diese Reise tatsächlich nicht nur
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