Die Pilgergraefin
die Lage. Anscheinend waren die Begleiter und Sänftenträger der Dame geflohen, denn außer den beiden Strauchdieben, die an ihrem Opfer herumzerrten, war sonst niemand zu sehen. Hatten sich vielleicht noch weitere Raufbolde im Gebüsch am Straßenrand versteckt, um im Notfall einzugreifen? Oder verfolgten sie die geflohenen Sänftenträger und Begleitwachen der Dame? Denn dass sie keine Wachleute mit dabeigehabt haben sollte, war äußerst ungewöhnlich. Außer die Dame war gar keine Dame, sondern eine, die sich ihre schöne, etwas zu reich verzierte Kleidung auf dem Rücken verdient hatte.
Plötzlich erschien Robyn diese Möglichkeit sehr wahrscheinlich. Denn die Begleiter einer Edelfrau hätten nicht so ohne Weiteres die Flucht ergriffen, sondern ihre Herrin bis aufs Blut verteidigt.
Also hatte er es mit einer Kurtisane und zwei simplen Dieben zu tun. Und für diese musste er sich gar nicht erst eine besondere List ausdenken, um sie in die Flucht zu schlagen, wie er es bei einer Übermacht von Feinden getan hätte. Diese Wichte würden sich beim Anblick seines Schwertes schnell in die Büsche schlagen.
„Attacke!“, schrie er vergnügt, riss die Waffe aus der Scheide und galoppierte auf Adomar, dem ein Scharmützel nach der langen, ereignislosen Zeit ebenfalls zu gefallen schien, auf die Wegelagerer zu.
So leicht es Robyn gelungen war, die beiden kopflosen Raubgesellen mit zwei Hieben mit der flachen Seite seines Schwertes außer Gefecht zu setzen, so schwer fiel es ihm, die Arme der geretteten Frau von seinem Nacken zu lösen. Wie eine Klette hing sie an ihm und so schrill, wie sie vorhin gekreischt hatte, so süß flötete sie ihm, nun Dankesworte ins Ohr.
„Grazie, Signore. Ihr habt mir das Leben gerettet. Nun will ich für Euch tun, was immer Ihr wollt.“ Schmachtend blickte sie ihn aus Augen an, deren Lider türkisfarben bemalt waren.
Seine Vermutung hatte sich also bestätigt – nicht einer Contessa oder Principessa war er zu Hilfe geeilt, sondern einer Kurtisane, deren Liebeskünste ihr offensichtlich zu beachtlichem Reichtum verholfen hatten. Ihm war es gleich. Hauptsache, er hatte seine ritterlichen Pflichten erfüllt und einer Frau in Bedrängnis geholfen.
„Keine Ursache, Signora“, antwortete er auf Italienisch. „Wenn Ihr nun gütigst die Arme von meinem Nacken nehmen würdet. Ich bin in Eile und muss weiterreiten.“
Der kokette Lidschlag der Dame ließ ihn kalt. Ihr gepudertes Gesicht, in dem zwei Rougeflecken die Wangen betonten, zeigte die ersten Zeichen von Verfall. Allzu lange würde die Kurtisane ihrem Gewerbe wohl nicht mehr nachgehen können. Oder zumindest Einbußen, was ihre diesbezüglichen Einkünfte betraf, hinnehmen müssen.
„Aber Signore, wollt Ihr Euch denn nicht nehmen, was ich Euch anbiete? Eine solche Gelegenheit erhaltet Ihr gewiss so bald nicht wieder.“
Robyn, der die Schönheit einer Frau durchaus zu schätzen wusste, allerdings nicht, wenn sie käuflich war, schüttelte den Kopf. „Ich bin in wichtiger Mission unterwegs, Signora, und habe keine Zeit, bei Euch zu verweilen. Noch heute muss ich das Jagdschloss des Herzogs von Mailand erreichen.“
„Aber das war auch mein Ziel, edler Herr, ehe diese Strauchdiebe mich überfielen. Madonna mia, was wollten sie nur von einer armen Frau wie mir?“
Aha, die „Dame“ war also unterwegs, um ihre Dienste den Edlen des Herzogs – und vielleicht sogar Visconti selbst – anzubieten.
War die Frau tatsächlich so einfältig, oder tat sie nur so? Reiste in einer kostbaren Sänfte und trug protzigen Schmuck um den Hals, was jeden Straßenräuber und Wegelagerer geradezu herausfordern musste!
Robyn wollte sich nicht mit der Kurtisane belasten, und doch tat sie ihm leid. Wie sollte sie von hier wegkommen, da ihre Sänftenträger geflohen waren?
„Bitte, Cavaliere, nehmt mich mit. Gewiss wird Euer Packpferd eine leichte Last wie mich zusätzlich tragen können. Wie gesagt, Ihr könnt verlangen, was Ihr wollt.“ Gierig glitt ihr Blick über den stattlichen, hochgewachsenen Ritter. „Es gibt kaum eine Kunst der Liebe, in der ich nicht bewandert bin. Ihr werdet es nicht bereuen.“
Robyn musterte die Dame, die mit üppigen Rundungen gesegnet war – viele Männer liebten das, und insgesamt machte die Signora ja auch einen ansehnlichen Eindruck. Er hingegen zog weniger gerundete Frauen vor – und bedauerte schon jetzt sein Packpferd, denn natürlich konnte er die Frau nicht allein und schutzlos hier
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