Die Pilgergraefin
Buden.
Ein junger Knecht, selbst nicht besonders reinlich bekleidet, glotzte sie an und rümpfte die Nase, als er an ihr vorbeiging.
Oje, so weit ist es also mit dir gekommen, Gräfin von Eschenbronn, dachte sie, halb entsetzt, halb amüsiert. Tatsächlich hatte sie eine Wandlung durchgemacht – und nicht nur äußerlich von der in seidene Gewänder gehüllten Edelfrau in ein stinkendes Bettelweib, sondern auch innerlich, denn, das wurde ihr nun klar, sie hatte auf dem Weg an Stärke und Mut gewonnen.
Während sie dem schlanken Jüngling, der sie so verächtlich gemustert hatte, nachblickte, kam ihr ein Gedanke. Wenn es Männer gab, die so bestialisch und brutal waren, dass sie selbst einer Frau in einem einfachen Kittel in dunkler Nacht Gewalt antun wollten, wäre es da nicht besser, sie würde sich als Knabe verkleiden?
Natürlich wusste sie, dass die Kirche es als Sünde betrachtete, wenn eine Frau sich in Männerkleidung hüllte. Doch falls dies wirklich eine Sünde war, so konnte sie diese immer noch am Grab des Apostels beichten und Vergebung dafür erflehen. Leib und Leben schienen ihr nach der Erfahrung der letzten Nacht jedoch wichtiger als die Meinung der Priester.
Ihr Entschluss stand fest: Sie würde sich auf dem hiesigen Markt die Kleidung eines jungen Mannes besorgen und ihre Reise als Jüngling fortsetzen.
Sie trat durch einen Torbogen in einen Gang, damit sie unbeobachtet einige der in ihrem Kittel eingenähten Silberpfennige herausnehmen konnte. Sie tastete den Saum ab, und da überlief es sie eiskalt: Dort war keine einzige Münze mehr, der Saum aufgerissen – gewiss von dem Unhold, der sie in der finsteren Gasse überfallen hatte.
Tränen traten ihr in die Augen. Wie sollte es nun weitergehen? Wovon sollte sie etwas zu essen kaufen, ganz zu schweigen von Männerkleidung? Würde sie sich als Magd verdingen oder gar ihren Körper feilbieten müssen, um zu überleben?
Nur einen wertvollen Gegenstand besaß sie noch. Aber nein, der war zu kostbar: ihre letzte Erinnerung an Konrad, die Silberkette, von der sie sich geschworen hatte, sich niemals zu trennen, und die sie in einem kleinen Beutel über dem Herzen trug. Unwillkürlich tastete sie danach. Er war noch da. Dem Himmel sei Dank!
„Oh, liebster Konrad, verzeih mir“, murmelte Leonor. „Aber ich muss es tun, sonst werde ich elendiglich zugrunde gehen.“ Fast war es ihr, als hörte sie die Stimme des Gemahls, der sie in ihrem Tun bestärkte.
Ehe sie noch länger zweifeln und mit sich hadern konnte, nahm sie das Beutelchen hervor, umschloss es mit der Rechten und machte sich auf, den Stand eines Goldschmieds zu finden.
Alsbald entdeckte sie einen – er schien der einzige auf diesem kleinen Markt zu sein – und hielt dem Mann die fein ziselierte Kette hin. Sogleich blitzte es in dessen Augen auf. Offensichtlich hatte er den Wert des Geschmeides sofort erkannt.
In diesem Augenblick kam Leonor ein schrecklicher Gedanke. Sie war ärmlich gekleidet und sah nicht wie jemand aus, der wertvollen Schmuck besaß. Würde der Goldschmied den Büttel rufen und sie als Diebin festnehmen lassen? Dann drohten ihr Kerker und der Tod am Galgen. Wie jenen Unglücklichen, die sie vor der Stadt gesehen hatte.
Doch dem Mann schien nur daran gelegen, die Kette günstig zu erwerben. Er nickte, griff in seinen Geldkasten und hielt ihr einige Silberlinge hin. Indes kam ihr das sehr wenig vor, auch wenn sie den Wert der hiesigen Münzen nicht kannte. So schüttelte sie den Kopf und stopfte die Kette wieder in den Beutel.
Der Goldschmied verstand die Geste, griff erneut in seine cassa und verdoppelte den Betrag.
Erfreut über ihren Erfolg, stimmte Leonor dem Handel zu, und Kette und Münzen wechselten den Besitzer.
Dass sie dabei von gierigen Blicken beobachtet wurde, entging Leonor.
Als junge Frau im Pilgerkittel hatte Leonor das Städtchen betreten. Als Jüngling in der Gewandung eines Knappen ließ sie es nun eiligen Schrittes Richtung Süden wieder hinter sich.
Verborgen von dichtem Strauchwerk, hatte sie sich umgezogen. Wenngleich es ihr auch missfallen hatte, in die nicht eben saubere Tunika und die Beinlinge zu schlüpfen, die vor ihr jemand anderes getragen hatte, war sie dennoch erleichtert, denn die Männerkleidung würde ihr Schutz gewähren. Zum Wechseln hatte sie eine zweite Tunika erworben. Den grau-braunen Pilgerkittel hatte sie einer zerlumpten Bettlerin geschenkt, die ihr dafür vor lauter Dankbarkeit die Füße hatte küssen
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